6.4.3 Transkript — Interview mit Barbara Ellenberger vom 27.04.2015
überarbeitete und genehmigte Version vom 24.05.2015, nicht zur Veröffentlichung bestimmt
Begriff Kleinkunst lange gemieden (00:30)
Das ist ganz witzig, denn für mich hat der Begriff Kleinkunst immer etwas Abschätzendes
gehabt, etwas Biederes. Ich habe die Kleinkunst lange nicht ernst genommen, mich lange
dafür nicht interessiert. Das hat damit zu tun, dass ich aus dem 'Theater' komme, also ganz
anders sozialisiert bin mit Schauspielhaus, Regiestudium,... und so meinen Fokus anderswo
hatte. Dann bin ich durch diese Intendanz am TAK gezwungen gewesen, mich mit Kleinkunst
auseinanderzusetzen. Aber ich hab's auch dort noch länger vermieden und habe mich zuerst
auf die Kabarettisten fokussiert, bei denen ich schneller einen Zugang gefunden habe als zu
anderen Kleinkunstbereichen. Wahrscheinlich, weil jene häufig ein explizit politisches oder
sozialkritisches Anliegen haben.
Auseinandersetzung mit Dada (01:40)
Jetzt neulich mit der Beschäftigung mit dem Dadaismus habe ich begonnen, mich nochmals
mit den Anfängen der Kleinkunst auseinanderzusetzen und bin dabei auf ganz interessante
Aspekte gestossen. (...) Als antibürgerliche Bewegung, die sich vom etablierten Theater
absetzte — sicher auch aus Geldgründen oder mangelndem Zugang. Die Kleinkunstbewegung
war eigentlich eine Emanzipationsbewegung.
Die ersten Kleinkunstveranstaltungen waren eigentlich von Künstler/innen für Künstler/innen
gemacht, Künstler/innen-Soirées in einschlágigen Lokalen in Paris. Allen voran dem Chat
Noir. Es entstand eine Bewegung, die auf ganz Europa ausgestrahlte. Die Dadaisten haben
dann diese Kleinkunst-Varieté-Bewegung weiterentwickelt. Ich überlegte dann, warum
Kleinkunst heute auch diesen biederen Anstrich hat. Ich könnte mir vorstellen, dass — das ist
sehr spekulativ — in den 50er-Jahren eine „Verbiederung“ stattgefunden hat, dass sich das
Kleinbürgertum um die Kleinkunst versammelt hat und die Intellektuellen und das
grossbürgerliche Publikum in die Oper, das Schauspiel und ins Konzert gegangen ist.
Veränderung durch Kennen (—04:00)
Unterdessen kenne ich mich etwas besser aus und kann sagen, dass es im Kleinkunstbereich
durchaus sehr subversive, angriffige Formen gibt und Künstler, die inhaltlich arbeiten — mit
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