Zusammenfassung des Vortrags
Vom frühen Frauenstudium zum späten Frauenwahlrecht
in der Schweiz und Liechtenstein
Vortrag im Rahmen der Zusammenkunft der Soroptimist International
Club Vaduz, am 6.10.2015 im Park Hotel Sonnenhof, Vaduz
Thomas Ernst Wanger
2014 jährte sich zum 30. Mal die liechtensteinische Frauenstimmrechtsabstimmung von 1984. Auch
in der Schweiz, 1971, kam es zu einer sehr späten Einführung des Frauenwahlrechtes. Scheinbar im
Gegensatz dazu wurden Studentinnen in der Schweiz schon sehr früh, 1864, zugelassen. Wie kam es
zu der frühen Zulassung zum Frauenstudium?
Das frühe Frauenstudium in der Schweiz am Beispiel der Universität Zürich
Die Studentinnen
Die Universität Zürich gestattete bald nach ihrer Gründung im Jahre 1833 Frauen durch
Spezialbewilligung der Erziehungsdirektion Zutritt zu Kollegien an der philosophischen Fakultät.
Nach der bürgerlichen 1848er Revolution flüchtete eine Anzahl bedeutender deutscher Akademiker,
verfolgt als Teilnehmer oder Sympathisanten, in die Schweiz, wo sie an den Hochschulen lehrten.
1864 bat Maria Alexandrowna Kniaschnina aus Petersburg in einem höflichen Schreiben die Zürcher
Erziehungsdirektion um die Erlaubnis, an der Universität Zürich den medizinischen Vorlesungen
folgen zu dürfen. Alarmiert waren die Behörden dann, als 1867 die Russin Nadezda Suslova (1843-
1918) das medizinische Staatsexamen abzulegen verlangte und sich die Erziehungsdirektion mit ihrem
Ansuchen an die medizinische Fakultät wandte. Diese hielt in einem Protokoll folgendes fest: ,, (...)
bevor die Frage, ob das Geschlecht ein Hindernis für die Erteilung der Doktorwürde sei,
discutiert werden kónne, solle Frl. Suslova vorerst sich immatriculieren.* Die vier beteiligten
deutschen Professoren, alles 1848er-Emigranten, waren entschlossen, der Russin eine Chance zu
geben und liessen sich geschickt auf keine Diskussion mit der Behórde ein. Prompt immatrikulierte
die Erziehungsdirektion die zum Examen entschlossene Russin. Damit aber war der entscheidende
Schritt getan und niemand musste mehr um die Erlaubnis gebeten werden, die Examen der Studentin
abzunehmen. Am 2. August 1867 fand die mündliche Prüfung und am 14. Dezember die
Doktorpromotion von Nadezda Suslova statt.
Als sich die erste Schweizer Studentin der Medizin, Marie Vógtlin (1845-1916), im Oktober 1868
immatrikulierte, rief dies erste vehemente Reaktionen in der Offentlichkeit hervor. Mit der
wachsenden Zahl vor allem russischer Studentinnen kam es auch zu Übergriffen von Seiten
männlicher Studierender. Sechs Studentinnen, darunter die erste Schweizerin, versuchten. dem
dadurch entgegenzutreten, dass sie 1870 ein Gesuch an den Senat stellten, worin sie eine
Maturitätsprüfung als Studienvoraussetzung für Frauen forderten. Neben der Festlegung des
Mindestalters für Studentinnen auf 18 Jahre kam es durch eine männliche Volksabstimmung 1873 zur
Maturitätspflicht als Studienvoraussetzung. Frauen wurde jedoch gleichzeitig keine Gymnasialbildung
geboten und Studierwillige mussten das Abitur durch teuren Privatunterricht erlangen. Die
Möglichkeit einer regulären Studienberechtigung wurde in Zürich erst zehn Jahre später geschaffen.
1883 wurde an der seit 1875 bestehenden „Höheren Töchterschule Zürich“ eine Abteilung für
Maturantinnen eingerichtet. Als erstes Schweizer Gymnasium nahm 1894 dasjenige in Bern Mädchen
auf. Zum Vergleich: Das erste Mädchengymnasium in Österreich wurde 1892 in Wien eröffnet. Ein
Jahr später, 1893, wurde das erste deutsche Mädchengymnasium in Karlsruhe eröffnet. Beide also
noch vor der Schweiz. In Liechtenstein wurden Frauen erst 1968 zum Gymnasium zugelassen.