Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
der Verfassung setzt eine Normenkontrolle Gewaltenteilung voraus. Die
prüfende Instanz muss von derjenigen, deren Akte kontrolliert werden
sollen, funktionell wie organisatorisch verschieden sein. Diese neue Ver-
fassungslage erklärt, warum es im konstitutionell-monarchischen Sys-
tem der Verfassung von 1862 eine solche unabhängige Einrichtung wie
den Staatsgerichtshof, der allgemein verbindlich entscheidet, nicht geben
konnte.
Der Streit um den Schutz grundrechtlicher Freiheit musste unter
der Konstitutionellen Verfassung von 1862 anlässlich der Gesetzgebung
ausgetragen werden. Zu konkretisieren waren die Grundrechte durch
die Politik. Sie sind textlich als Rechte und Pflichten der Staatsbürger
ausgewiesen, nicht als Menschenrechte, und hatten nur eine begrenzte
Wirkung. Sie bildeten keine rechtlichen Schranken für die Gesetzge-
bung. Sie stellten kein unmittelbar geltendes Recht dar und konnten vom
Einzelnen nicht eingeklagt werden. Es gab kein Verfassungsgericht, das
die Geltung der Verfassung auch in Konfliktfällen durchgesetzt hätte.
3. Bedeutung
Die Einführung einer umfassenden Verfassungsgerichtsbarkeit® und die
Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung und damit an die von ihr
garantierten Grundrechte sind neben den direkten Volksrechten innova-
tive Neuerungen, die das Gesamtgefüge der Verfassung nachhaltig ver-
ändert haben. Sie bedeuten mit anderen Worten eine wesentliche Struk-
turentscheidung der Verfassung. Streitigkeiten über den Inhalt des mate-
riellen Verfassungsrechts entscheidet der Staatsgerichtshof und nicht die
Politik, die dadurch verrechtlicht wird. Es steht ihm die Befugnis zur
Normkassation zu, die der Sicherung der Verfassung dient.
Ablesbar ist diese rechtsstaatliche Veränderung der Verfassungs-
struktur auch am Gesetzmässigkeitsprinzip der Verfassung von 1921,
wie es heute in der Literatur und Rechtsprechung verstanden wird. So
53 Siehe Art. 104 LV und das Staatsgerichtshofgesetz vom 5. November 1925, LGBl.
1925 Nr. 8 bzw. heute: Staatsgerichtshofgesetz vom 27. November 2003, LGBl.
2004 Nr. 12.
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