Staatsgerichtshof und EFTA-Gerichtshof
Recht, d. h. auch Gesetze, die nicht oder nicht direkt europäisches Recht
umsetzen, im Einklang mit dem EWR-Recht auszulegen.5*! Diese EWR-
konforme Auslegung findet aber dort seine Grenzen, «wo Grundprinzi-
pien und Kerngehalte der Grundrechte der Landesverfassung tangiert
würden». 2 Der Staatsgerichtshof überprüft denn auch «EWR-Recht
bzw. sich direkt darauf stützendes Landesrecht in aller Regel nicht auf
seine Verfassungsmässigkeit [...]».
3. EWR-Recht als materielles Verfassungsrecht
Das EWR-Abkommen wird in Lehre>** und Rechtsprechung als ein
materiell verfassungsändernder und -ergänzender Vertrag eingestuft. So
auf SIGH 1998/61, LES 2001, S. 126 (130 f. Erw. 3.1) vermerkt, dass das Protokoll
35 zum EWRA die EFTA-Staaten verpflichte, für alle Fälle möglicher Konflikte
zwischen EWR-Bestimmungen und innerstaatlichem Recht nötigenfalls eine ge-
setzliche Bestimmung des Inhalts einzuführen, dass in diesen Fällen die EWR-Be-
stimmungen vorgehen. Obwohl mit dem EWRA im Gegensatz zu den Europäi-
schen Gemeinschaften keine supranationale Gemeinschaft begründet wurde, setzt
der vom EWRA bezweckte homogene Wirtschaftsraum (Präambel, Abs. 4) die ein-
heitliche Durchsetzung des EWR-Rechts in den Verfassungsstaaten voraus.
541 Andreas Batliner, Anwendung des EWR-Rechts, S. 139 mit Rechtsprechungshin-
weisen; vgl. auch StGH 1998/9, Urteil vom 3. September 1998, LES 3/1999,
8. 178 ff. (183).
542 StGH 2007/127, Urteil vom 11. Februar 2008, Erw. 4.2 mit weiteren Hinweisen (im
Internet abrufbar unter: <www.gerichtsentscheide.li>). Der Staatsgerichtshof
schliesst einen solchen Konfliktfall praktisch aus, «nachdem das Recht der Europäi-
schen Gemeinschaften und somit auch das EWR-Recht die Grundrechte und insbe-
sondere auch die Europäische Menschenrechtskonvention anerkennen». Vgl. auch
StGH 1998/61, Urteil vom 3. Mai 1999, LES 3/2001, S. 126 (130 f.) unter Bezug-
nahme auf Daniel Thürer, Liechtenstein und die Völkerrechtsordnung, S. 120 f. und
die Botschaft des schweizerischen Bundesrates zum EWRA, BBI 1992 I, S. 1 (92);
StGH 2013/196, Urteil vom 27. Oktober 2014, nicht veröffentlicht, S. 16 Erw. 2.4.1
mit weiteren Rechtsprechungshinweisen.
543 StGH 1998/61, Urteil vom 3. Mai 1999, LES 3/2001, S. 126; SIGH 2013/196, Urteil
vom 27. Oktober 2014, nicht veröffentlicht, S. 18 f. Erw. 2.5.1 mit Rechtspre-
chungshinweisen; vgl. auch Hilmar Hoch, Schwerpunkte, S. 83 Fn. 85 mit weiteren
Rechtsprechungshinweisen. Kritisch zum Prüfungsmassstab der «Grundprinzipien
und Kerngehalte der Grundrechte der Landesverfassung» Stefan Becker, Überprü-
fung von Staatsverträgen, S. 20 f.
544 Vgl. Thomas Bruha/Markus Büchel, Grundfragen einer EWR-Mitgliedschaft, S. 5 f.
und Herbert Wille, Staatliche Ordnung und europäische Integration, 5. 88 f.
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