Europäischer Gerichtshof und EFTA-Gerichtshof
Rechtsprechungsinstitutionen, auch wenn ihr normativer Bezugsrahmen
verschieden ist.*%
II. EMRK und nationale Rechtsordnung
Die Europäische Menschenrechtskonvention ist Bestandteil der liech-
tensteinischen Rechts- und Verfassungsordnung. Sie ist ihrer Rechtsna-
tur nach ein völkerrechtlicher Vertrag, der als solcher rechtliche Bindun-
gen der Konventionsstaaten bewirkt. Die Individualrechte der EMRK
und der Protokolle stellen unmittelbar anwendbares Recht dar und
können direkt gegenüber allen staatlichen Behörden geltend gemacht
werden.
Der Staatsgerichtshof spricht in seiner Praxis der Europäischen
Menschenrechtskonvention und den Protokollen «faktisch» Verfas-
sungsrang zu.“ Sie stehen demnach in der Normenhierarchie formell
über den einfachen Gesetzen, aber unter der Verfassung, die ihnen seit
ihrer Revision von 2003 «Unterverfassungsrang» einräumt. Sie gelten als
verfassungsmässig gewährleistete Rechte, sodass ihre Verletzung mit
Individualbeschwerde beim Staatsgerichtshof angefochten werden
kann.“% Als «materielles Verfassungsrecht» kontrolliert er die staatlichen
Gesetze und Verordnungen auf ihre Übereinstimmung mit ihm. Der
496 Stefan Mückl, Kooperation oder Konfrontation, S. 412. Ihre Begrenzungsfunktion
ist materiell und prozedural (verfahrensrechtlich) vergleichbar ausgebildet. So Frank
Hoffmeister, Europäische Menschenrechtskonvention, S. 380. Luzius Wildhaber,
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, S. 569 charakterisiert den EGMR als
«Quasi-Verfassungsgericht sui generis». Man könne ihn jedenfalls, so führt er aus,
«von der Art her einem Verfassungsgericht gleichsetzen». Die EMRK-Grund- und
Menschenrechte (Art. 2 bis Art. 14) werden innerstaatlich nach Art. 15 Abs. 2 Bst. a
StGHG als verfassungsmässig gewährleistete Rechte betrachtet, die im Wege der In-
dividualbeschwerde verfassungsgerichtlich geltend gemacht werden können.
497 Dazu ausführlich Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 64 ff. und
260 ff; vgl. auch Wolfram Höfling, Liechtenstein und die Europäische Menschen-
rechtskonvention, S. 141 ff.
498 Vgl. StGH 2004/45, Urteil vom 29. November 2004, Erw. 2.1 (im Internet abrufbar
unter: <www.stgh.li>); StGH 2005/89, Urteil vom 1. September 2006, Erw. 4 (im
Internet abrufbar unter: <www.stgh.li>). Danach handelt es sich bei den EMRK-
Grund- und Freiheitsrechten «um auf der Verfassungsstufe stehende und somit
gleichrangige Normen».
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