Volltext: Die liechtensteinische Staatsordnung

Staatsgerichtshof und Gesetzgeber 
wünschte Rechtsfolgen einer an sich fälligen Nichtigerklärung abzu- 
wenden». 
Der Staatsgerichtshof versteht die Appellentscheidung als einen 
«den Gesetzgeber schonenden Urteilsspruch».*1° Eine solche Aussage ist 
wohl nicht zutreffend. Geht der Staatsgerichtshof von einer verfassungs- 
widrigen Gesetzesregelung aus und sieht von einer Kassation ab, bleibt 
sie vorerst als solche bestehen. Der Staatsgerichtshof schöpft seine Ent- 
scheidungskompetenz nicht aus, da die Verfassung in diesem Fall die 
Kassation vorschreibt. Liegt eine Verfassungswidrigkeit noch nicht vor 
und macht der Staatsgerichtshof Vorgaben, nimmt er in unzulässiger 
Weise Einfluss auf den Gesetzgeber, da er damit dessen Gestaltungsfrei- 
heit einschränkt.*!! 
Der Staatsgerichtshof wird zum Ersatzgesetzgeber*?, wenn er 
gestaltend eingreift und eine Art legislatives «Selbsteintrittsrecht»*!3 
praktiziert. Er setzt sich damit selbst an die Stelle des Gesetzgebers und 
übt gesetzgeberische Befugnisse aus.*!4 
bb) Verfassungskonforme Auslegung 
Bei der verfassungskonformen Auslegung handelt es sich um einen 
Anwendungsfall der systematischen Auslegung.“!5 Sie wurde entwickelt, 
  
409 Vgl. Klaus Schlaich / Stefan Korioth, Bundesverfassungsgericht, S. 281 Rz. 396; Ernst 
Benda/Eckart Klein/ Oliver Klein, Verfassungsprozessrecht, S. 553 ff. Rz. 1392 ff.; 
Werner Heun, Funktionell-rechtliche Schranken, 5. 21 ff. 
410 Vgl. Wolfram Höfling, Die Verfassungsbeschwerde zum Staatsgerichtshof, S. 195. 
411 Appellentscheidungen können, auch wenn sie nicht bindend sind, «den Gesetzgeber 
faktisch-psychologisch bei der Gesetzgebung dahingehend beeinflussen, dass eine 
der Appellaussage entgegengesetzte Normierung oder gar der Appell (geradezu) 
wortwörtlich Gesetz wird». So Philipp Austermann, Die rechtlichen Grenzen des 
Bundesverfassungsgerichts, S. 271. Der Gesetzgeber wird wohl vielfach den Erwä- 
gungen des Staatsgerichtshofs folgen, um eine Verfassungswidrigkeit zu vermeiden. 
412 Kritisch zum Begriff des Verfassungsgerichts als «Gesetzgeber» Matthias Jestaedt, 
Phänomen Bundesverfassungsgericht, S. 324. 
413 Dieser Begriff ist Fritz Ossenbühl, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber, 
S. 45 entlehnt. 
414 Vgl. Herbert Wille, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 51 f. 
415 Siehe zur verfassungskonformen Auslegung Herbert Wille, Normenkontrolle, 
S.307 ff. und ders., Probleme des gesetzgeberischen Unterlassens, S. 448; Tobias 
Michael Wille, Verfassungs- und Grundrechtsauslegung, S. 170 ff.; Andreas Kley, 
Grundriss, S. 25 ff.; Wolfgang Löwer, Zuständigkeiten und Verfahren, S. 1416 ff. 
Rz. 126 f. 
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