Zuständigkeiten und Verfahren
2. Anklagerecht des Landtages
Die Anklage des Landtages, die er gegen ein Mitglied der Regierung
richtet, setzt voraus, dass es ın Ausübung seiner Amtstätigkeit die Ver-
fassung oder ein Gesetz absichtlich oder grob fahrlässig verletzt hat.
Es geht bei der Ministeranklage um den individuellen Vorwurf schuld-
hafter Pflichtverletzung bzw. eines schuldhaft-pflichtwidrigen Verhal-
tens,37 sodass nur das einzelne Regierungsmitglied und nicht auch die
Regierung als Organ angeklagt werden kann.?® Die Anklage kann aller-
dings nur binnen einem Jahr, nachdem der ihr zugrunde liegende Sach-
verhalt dem Landtag bekannt geworden ist, erhoben werden. Dabei han-
delt sich um eine Ausschlussfrist.”? Die Anklage kann auch gegen ein
Regierungsmitglied geltend gemacht werden, das sich nicht mehr im
Amt befindet.240
335 Ein Beschluss des Landtages bedarf zu seiner Gültigkeit nach Art. 58 Abs. 1 LV der
absoluten Stimmenmehrheit der anwesenden Mitglieder. Art. 44 StGHG 1925
schrieb für einen Beschluss zur Ministeranklage noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit
der Abgeordneten vor. Er stand allerdings mit der vorgenannten Vorschrift der Ver-
fassung nicht im Einklang. So Walter Kieber, Regierung, Regierungschef, Landesver-
waltung, S. 299; siehe auch Tobias Michael Wille, Verfassungsprozessrecht, S. 223.
336 Karl Korinek, Ministerverantwortlichkeit, S. 10 bezeichnet die Verantwortlichkeit,
um die es hier geht, als eine «gemischt politisch-rechtliche» Verantwortlichkeit, da
die Anklageerhebung einen «politischen Akt» darstellt, während das Verfahren über
die Anklage ein «rechtlich geordnetes Verfahren» ist, in dem nur Rechtsverletzun-
gen, nicht aber Fragen der politischen Zweckmässigkeit eine Rolle spielen.
337 Dazu hat der österreichische Verfassungsgerichtshof die Ansicht geäussert, «dass
auch ein geringer Grad des Verschuldens zu einer Verurteilung zu führen hat, der
Grad des Verschuldens aber für die Bemessung der Sanktion heranzuziehen ist, so
zwar, dass sich der Gerichtshof bei einem geringen Verschulden mit der blossen
Feststellung der Rechtswidrigkeit zu begnügen hat». So Karl Korinek, Ministerver-
antwortlichkeit, S. 13 unter Bezugnahme auf VfGH 28.6.1985, E 2/84.
338 Lothar Freund, Anklageverfahren, S. 332; Walter Kieber, Regierung, Regierung-
schef, Landesverwaltung, S. 299; vgl. auch Tobias Michael Wille, Verfassungspro-
zessrecht, S. 224, der auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut des Art. 28 Abs. 1
StGHG hinweist.
339 Vgl. Albrecht Weber, BVerfGG $ 50 Rz. 1.
340 Siehe Art. 28 Abs. 3 SSGHG.
660