Begnadigung und Niederschlagung von Strafverfahren
digung und Strafmilderung zugunsten eines wegen einer Amtshandlung
verurteilten Regierungsmitgliedes keinen entsprechenden Antrag des
Landtages voraus. Diese abweichende Behandlung erklärt sich aus der
Tatsache, dass die Verfassung das Niederschlagungsrecht, wie es unter
der Konstitutionellen Verfassung von 1862 gegolten und seine einfachge-
setzliche Umsetzung in $ 2 der Strafprozessordnung vom 31. Dezember
1913 erfahren hat, übernimmt,?!5 ohne auf die geänderte verfassungs-
rechtliche Stellung des Landtages Rücksicht zu nehmen.
3. Umfang und Kritik
Eine überwiegende Lehrmeinung geht von einem unbeschränkten Abo-
litionsrecht des Landesfürsten aus, das er auch im Falle von Ministeran-
klagen ausüben kann.2!® Diese Rechtsansicht kann sich u. a. auf die Tat-
sache stützen, dass die Verfassung in diesem Punkt an der verfassungs-
rechtlichen Allein-Kompetenz des Landesfürsten, wie er sie unter der
Konstitutionellen Verfassung von 1862 eingenommen hat?! inhaltlich
nichts geändert hat.?!8
215 Die Deutungsversuche von Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums
Liechtenstein, S. 127 erübrigen sich.
216 Es ist auch nicht an das Gegenzeichnungserfordernis gebunden. So Christine Weber,
Gegenzeichnungsrecht, S. 256 ff.; Günther Winkler, Begnadigung und Gegenzeich-
nung, S. 55; a. A. Gerard Batliner, Einführung in das liechtensteinische Verfassungs-
recht, S. 87 ff.; ders., Diskussionsbeitrag, S. 59 Rz. 97.
217 Die Regierungsgewalt des Landesfürsten schloss ein unbeschränktes Begnadigungs-
und Abolitionsrecht ein. So Ernst Pappermann, Die Regierung des Fürstentums
Liechtenstein, S. 125 Fn. 7.
218 So hat beispielsweise die Verfassung von 1921 den Vorschlag von Wilhelm Beck, wie
er ihn in Art. 33 Abs. 2 seines Verfassungsentwurfes formuliert hatte, nicht über-
nommen. Dieser Vorschlag sah eine Einschränkung des Abolitionsrechts vor,
wonach der Fürst «die bereits eingeleitete Untersuchung nur auf Grund der Straf-
prozessordnung niederschlagen» darf. Vgl. auch Ernst Pappermann, Die Regierung
des Fürstentums Liechtenstein, S. 127, der ebenfalls, wenn auch nicht namentlich
auf den Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck hinweist, wenn er die Oberrheini-
schen Nachrichten Nr. 48 von 1920 zitiert und auf Art. 33 Abs. 3 Bezug nimmt
(richtigerweise geht es um Art. 33 Abs. 2, der aber die Abolition, wie vorhin
erwähnt, nicht von einem Antrag des Landtages abhängig macht). Er folgert aus
dem Umstand, dass der Verfassungsentwurf von Wilhelm Beck zu den Verfassungs-
beratungen beigezogen wurde, dass das Abolitionsrecht des Landesfürsten «mit Ab-
sicht» nicht mit einem Antrag des Landtages verknüpft worden sei.
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