Volltext: Ein Bürger im Dienst für Staat und Wirtschaft

mächtnisverleiht Goethe dieser Überzeugung poetischen Ausdruck: «Den Sinnen hast du dann zu trauen, / Kein Falsches lassen sie dich schauen / Wenn dein Verstand dich wach erhält. / Mit frischem Blick bemerke freudig, / Und wandle, sicher wie geschmeidig, / Durch Auen reichbegabter Welt. // Genieße mäßig Füll’ und Segen, / Vernunft sei überall zugegen / Wo Leben sich des Lebens freut. / Dann ist Vergan- genheit beständig, / Das Künftige voraus lebendig, / Der Augenblick ist Ewigkeit.» Frischer Blick und wacher Verstand, mäßiger Genuss und Vernunft setzen uns ins rechte, das heisst: ins richtige Verhältnis zur Welt. Nur sofern sich der Mensch in seiner Bedingtheit, in seiner «Mit- telstellung zwischen Geist und Element» erkenne und sich zu beschrän- ken wisse, könne er sinnvoll und gemäss seiner natürlichen Bestimmung leben und handeln. Ein Zuwiderhandeln hingegen, ein Überschreiten der Grenzen habe für den Menschen katastrophale Konsequenzen. In einem erhellenden Aufsatz mit dem Titel 
Unsere Zukunft und Goethe schreibt der Philosoph Karl Jaspers 1947, also kurz nach dem Zweiten Weltkrieg: «Vom alten Goethe wurde eine Katastrophe des Abendlan- des, ja der Menschheit geahnt.» Unheilvoller Ahnung zum Trotz: Goethe steht in allem was er tut, in allem was er sagt und dichtet, immer auf der Seite des Lebens, und so befindet er, «alles Lebendige strebt zur Farbe». In dem von ihm selbst im Jahre 1809 mit Feder und Aquarell auf Papier angelegten Farbenkreis, der, wie schon erwähnt, aus Blau, Gelb und Grün, aus Violett, Orange und Purpur zusammengesetzt ist, hat er die Begriffe Sinnlichkeit und Verstand sowie Phantasie und Vernunft eingetragen und ihnen sechs Eigenschaften zugeordnet: gemein, nützlich und gut der Sinnlichkeit und dem Verstand; unnötig, edel und schön der Phantasie und der Ver- nunft. Dem Kreis sind somit geistige, man könnte auch sagen: ästhe- tisch-ethische Qualitätsbegriffe eingeschrieben. In seiner Gesamtheit veranschaulicht dieser Farbenkreis das ganzheitliche Denken des Dich- ters, der hierzu passend 1824 in einer Rezension über ein von ihm geschätztes Buch psychologischen Inhalts folgendes schreibt: «Wer nicht überzeugt ist, daß er alle Manifestationen des menschlichen Wesens, Sinnlichkeit 
undVernunft, Einbildungskraft 
undVerstand, zu einer ent- schiedenen Einheit ausbilden müsse, ... der wird sich in einer unerfreu- lichen Beschränkung immerfort abquälen und niemals begreifen, warum er so viele hartnäckige Gegner hat, und warum er sich selbst sogar manchmal als augenblicklicher Gegner aufstößt. So wird ein Mann, zu 279 
Goethe –das Auge, die Totalität der Farben und der Begriff der Freiheit
	        

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