Das
fürstliche Appellationsgericht in Wien, das die Vorlagen zur Novellierung der liechtensteinischen Allgemeinen Gerichtsordnung erstellte, war zusammengesetzt aus drei38 österreichischen, in Wien auch forensisch tätigen Anwälten, die demnach in praxi mit der Klein’schen Zivilprozessordnung vertraut waren. Daher ist die österreichische Zivil- prozessordnung in gewissem Masse bereits in die Novellierungsvorlage der liechtensteinischen Allgemeinen Gerichtsordnung eingeflossen. Das fürstliche Appellationsgericht in Wien hielt nämlich in seinem Schreiben an die liechtensteinische Regierung, welchem die Novellierungsentwürfe beilagen, ausdrücklich fest, dass sich die Novellierung vorläufig auf vier Paragraphen der liechtensteinischen Allgemeinen Gerichtsordnung beschränke und dadurch «die ärgsten Übelstände der dermaligen Prozessführung in ent- sprechender Weise beseitigt werden und ein
Übergang zu den Prinzipien der geltenden, österreichischen Zivilprozess-Ordnung [von 1895, E. S.]
angebahnt wird. Eine weitergehende Änderung des Verfahrens in Zivilrechtsstreitigkeiten einzuführen, schien [...] für dermalen untunlich [...] [, und dass erst] nach Vornahme der erforderlichen Vorarbeiten an eine grundlegende Änderung des Prozessverfahrens auch im Fürstentume wird geschritten werden können.»39 Die Änderung der liechtensteinischen Allgemeinen Gerichtsordnung erwies sich somit nur als Episode in einem auf längere Zeit ausgerichte- ten Reformvorhaben. Als sich die Bestrebungen nach einer Reform des liechtensteinischen Zivilverfahrensrechts allmählich verdichteten, sich zugleich aber auch abzeichnete, dass eine solche Reform viel Zeit bean- spruchen würde, griff man zu einer
zwischenzeitlichen Lösung: Diejeni- gen Bestimmungen der liechtensteinischen Allgemeinen Gerichtsord- nung, welche man als hauptursächlich für die prozessualen Missstände erachtete, wurden 1906 im Sinne einer eingeschränkten Ursachenbe- kämpfung in der Verfahrensordnung revidiert, bis die Justizreform pro- 308§
7 Beginn Justizreform 1906 bis 1908 38Schädler, 1873–1889, S.66 Fn. 1. 39LI LA RE 1906/0911, Z:7351, 12. Oktober 1906, S.1f., Hervorhebungen E. S.; vgl. LI LA RE 1906/0911, Zusatzbestimmungen, 11. Dezember 1906, S.3; Schädler, 1901–1911, S.42f.