Volltext: Beiträge zum liechtensteinischen Recht aus nationaler und internationaler Perspektive

Nun wird der Vorstellung von einem abwägungsresistenten sub- jektiven Verfassungsrecht aber entgegengehalten, Grundrechte zeichne- ten sich gerade durch ihre Einschränkbarkeit aus, wozu aber die Annahme eines Absolutheitscharakters in krassem Gegensatz stehe.23 Doch die Singularität einer dem Abwägungsprozess entzogenen Verfas- sungsnorm spricht nicht gegen ihren Grundrechtscharakter. Betrachtet man etwa das deutsche Grundgesetz, so wird deutlich, dass die behaup- tete Exzeptionalität nur eine relative ist. Die deutsche Verfassung kennt auch andere Beispiele «absoluter», d. h. abwägungsresistenter Garantien. Dies gilt etwa für Art. 104 Abs. 1 Satz 2 GG mit seinem Misshand- lungsverbot und Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG mit dem Zensurverbot. Dieses findet sich, wenngleich in anderer Weise, auch in der liechtensteinischen Verfassung. Art. 40 2. Halbsatz LV enthält im Blick auf die Meinungs- freiheit eine spezifische Beschränkung der schrankenziehenden Hoheits- gewalt. Mit Ausnahme von öffentlichen Aufführungen und Schaustel- lungen verbietet er strikt jede Zensur. Würde also eine einfachgesetzliche Regelung eine Meinungsäusserung von einer Vorgabekonformität oder einer Inhaltskontrolle abhängig machen, so wäre sie nicht erst nach Massgabe eines Abwägungsprozesses als ggf. verfassungswidrig zu qua- lifizieren; sie ist durch die spezifische Schrankenschrankenklausel des Zensurverbotes definitiv untersagt. Entsprechende Eingriffsakte sind durch die Verfassung also absolut verboten.24Der neu eingefügte Art. 27ter Abs. 2, der die Todesstrafe verbietet, untersagt spezifische Eingriffe in das Lebensgrundrecht, nämlich Hinrichtungen, ebenfalls definitiv und ausnahmslos. Mit anderen Worten: Die Anerkennung unantastbarer, d. h. abwägungsresistenter Grundrechte bedeutet keines- wegs die Akzeptanz eines normlogischen Widerspruchs.25 Für die Menschenwürde ist sie aus meiner Sicht aber darüber hinaus der Sache nach geboten: Wie sollte man sich es vorstellen, dass die Menschenwürde bei der Abwägung mit anderen Rechtsgütern «den 228Wolfram 
Höfling 23So etwa Horst Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 1 Rn. 124. 24Siehe dazu auch Wolfram Höfling, Schranken der Grundrechte, in: Kley/Vallender (Hrsg.), Grundrechtspraxis in Liechtenstein, 2012, S. 83 (106 f.). 25Eingehend hierzu Wolfram Höfling, Unantastbare Grundrechte – Ein normlogi- scher Widerspruch?, in: Gröschner/Lembcke (Hrsg.), Das Dogma der Unantastbar- keit, 2009, S. 111 ff.
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.