Die Wortwahl in der Auseinandersetzung
Es ist interessant die rasche Entwicklung des personifizierten“ Fall Zumwinkel“ (14.2.) zur
,Liechtenstein-Affáre" (bereits am 15.2.) und schließlich zum ,Liechtenstein-Skandal“
(spätestens ab Montag, den 18.2.) zu beobachten. Gemäß SPIEGEL online vom 18.2.2008
(„Der Schatz des BND“) handelt es sich um einen „Wirtschaftskrimi, wie es noch kaum einen
gab in Deutschland“. Die Sprache zeigt die Sensationslust — auch der Medien - auf: 30 Haus-
durchsuchungen am Montag, den 18.2.2008 verleiteten sogar die ansonsten recht zurück-
haltende NZZ zur Überschrift „Beispiellose Jagd auf deutsche Steuersünder".
Hinsichtlich kräftiger Sprache haben sich die Vertreter beider Länder nichts vorzuwerfen.
Während der deutsche Finanzminister die „Daumenschrauben“ bemühte, die er Liechtenstein
anzulegen gedenke (Reuters, dpa, 22.2.2008), etwa eine Quellensteuer auf Überweisungen
nach Liechtenstein oder eine Meldepflicht deutscher Banken für Transaktionen nach
Liechtenstein, sprach Erbprinz Alois von „Hehlerei im großen Stil“. Diese Aussagen blieben
hängen. Ja, es erhebt sich sogar die Frage, ob es nicht gerade diese Wortwahl war, die die
Medienberichterstattung anzog und dem sonst kaum gehörten Liechtenstein die Möglichkeit
gab mit seinen eigenen Aussagen auch prominent in den Medien platziert zu sein.
Diese Sprache wurde in Deutschland teilweise von den eigenen Parteikollegen kritisiert. So
warf der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Clement (SPD) seiner Partei „Maulheldentum“
vor und wurde mit der Aussage zitiert, es sei „schon problematisch, dass wir gegenüber dem
kleinen Liechtenstein eine Tonlage anschlagen, als wollten wir demnächst einmarschieren“
(dpa, 22.2.2008). Wie recht er hatte, zeigte sich in diversen Titeln in den folgenden Tagen:
Die Headline der FAZ am 23.2. lautete: „Steinbrück droht Liechtenstein“ (S. 1). Die WAS
titelte am 24.2.2008 „Deutsche Flugzeugträger vor Liechtenstein“. Die FTD titelte noch am 3.
März „Berlin plant Angriff auf Steueroasen“ (S. 9).
Auch die SZ berichtete, dass nicht alle Politiker die Wortwahl des SPD-Vorsitzenden Kurt
Beck teilen (21.2.2008, 6).
Allerdings wurde nicht nur Liechtenstein mit derart starken Ausdrücken bedacht, sondern
auch Österreich, Schweiz und Luxemburg. Mit keinem Wort erwähnt wurden allerdings
Großbritannien und die dortigen Trusts, die sich im Grunde genommen genauso für
Steuerhinterziehung eignen. Und es war die britische Regierung, die bei der EU-
Zinsertragssteuer dafür sorgte, dass nur natürliche, nicht aber juristische Personen im
Abkommen berücksichtigt würden.
6.7 Prozesse
Die Realität zeigt, dass der Prozess der Themenstrukturierung ein äußerst vielschichtiger ist.
Modelle von einem einfachen Wirkungszusammenhang zwischen Medien und einer
allgemeinen Öffentlichkeit greifen zu kurz. Die Themenstrukturierung erfolgt in einem
umfangreichen, komplexen Kommunikationsprozess, der zwischen den einzelnen Akteuren
wie Medien, Politikern und anderen Interessengruppen abläuft und von jeder dieser Gruppen
mitgestaltet werden möchte.
Die Massenmedien haben dabei die wichtige Aufgabe Komplexität zu reduzieren und ein
strukturiertes, überschaubares Bild zu zeichnen. Denn viele Issues, die für politische Akteure
wichtig sind, sind kompliziert und komplex, wie dies in der Steueraffäre der Fall ist. Im Zuge
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