‘(Die Aufträge, die an seine Textilklassen gingen, wurden auf Meisterschülerinnen über-
tragen. Von diesen Arbeiten ist nur fragmentarisch einiges erhalten. Weniges hat das
Naziregime, den Feuersturm des Zweiten Weltkrieges überdauert, und wenn, meist
stark versehrt. Gleichgültigkeit und Ahnungslosigkeit haben ebenfalls viel beschädigt
und zerstört.)
‚.n Köln hat Nigg die Selbständigkeit und den persönlichen Ausdruckswillen in jedem
Einzelnen zu fördern gewusst. Er, der für sein Leben die Frau zwar nie suchte, hatte
immer eng mit Frauen zusammengearbeitet — eine davon war Clara Möller (spätere
Ehmcke), mit der Nigg in Magdeburg die Textilklassen führte.
In seiner Kunst haftet der Frau (egal ob Sophia oder Maria) nebst dem Mutterbild die
Eigenschaft der Anima an — doch ist das nochmals eine ganz andere Geschichte.
Ferdinand Nigg war auf kunsthistorischem Gebiet ein Fachmann, und das nicht nur
aus der Anschauung heraus; er hatte sich mit den Kulturschätzen aller Jahrhunderte
vertraut gemacht. Und was für ihn gilt, gilt auch für die künstlerische Entwicklung, und
das in einer Zeit, die vermehrt unter dem Eindruck der fremden aussereuropäischen
Kulturen gestanden hatte, sei es über die Kolonien, die Archäologie und Völkerkun-
de oder über die im 19. Jahrhundert entstandenen ersten grossen Museen hierzu.
Auch der normale Bürger wurde dadurch mit den Kulturgütern aller «Herren Länder»
vertraut gemacht: egal ob Asien, Afrika oder Amerika (85 Prozent des Globus’ war
damals noch und wieder kolonial zu verstehen). Aber die fremdländischen Erzeugnisse
überzeugten gerade die Künstler durch die unverstellte, elementare Form und Mate-
rialbeschaffenheit. Ein Bewusstsein, das schon im 19. Jahrhundert die freie Kunst und
das Kunsthandwerk stark beeinflusste. Auch begann man aufgrund dieser Qualitäten
die Romanik und Gotik neu einzuschätzen und zugleich den im Übermass unreflek-
tiert industriell erzeugten Historismus durch die gute Form zu ersetzen. Damit wollte
man eine unmittelbarere Stofflichkeit erwirken. Gerade diese Transparenz war für Nigg
ain erstes Gebot, ein gestalterisches Prinzip seiner ganzen Künstlerschaft: die Lauter-
keit der Mittel und Ausdrucksmittel. Er war kein Radikaler, und es war weniger die
Funktionalität, die ihn interessierte, als eine der Materie immanente Transparenz und
lautere Geste. Das bestimmte sein bildnerisches Vokabular. Und von daher entfaltete
sich auch ein Geistig-Künstlerisches, ein Geistiges in der Kunst.
Das blieb auf schöpferischer Ebene eine der wesentlichen Richtlinien dieses seines
Werks.