4.5.2 PFLICHTEN DER GEMEINDEBÜRGER
Die von den Bürgerinnen und Bürgern zu tragenden Gemeindelasten
wurden in zwei Kategorien unterteilt. Als gewöhnliche Gemeindelasten galten
die Verrichtung aller Hand- und Zugarbeiten sowie die Bezahlung der
Gemeindesteuern. Die Übernahme von Verwaltungsarbeiten in der Gemeinde
wurde ebenfalls als Erfüllung einer Gemeindelast angesehen ($ 20), was zur
Dispensierung von anderen Gemeindelasten führen konnte. Das Gemeinde-
gesetz von 1842 nannte weitere reguläre Pflichten von Gemeindebürgern: Diese
hätten «zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Gemeinde nach Kräften
beizutragen und das Gemeindebeste zu fördern» ($ 36). Auch mussten sie alle mit
der Verwaltung des Gemeindeeigentums verbundenen Kosten tragen. Ebenso
konnten Gemeindebürger verpflichtet werden, Gemeindeämter anzunehmen
sowie persönliche Dienste auszuführen, «die zur Sicherheit, oder Abwehrung
einer Gefahr von der Gemeinde nothwendig werden» ($ 36). Als Gemeinde-
dienste genannt wurden die Errichtung und Erhaltung von Wegen, Zäunen,
Gräben, Dämmen und Ufern. Jedoch waren Gemeindebürger nicht verpflichtet,
«*kunst- oder handwerkliche Dienste unentgeltlich zu leisten» ($ 36).”
Als weitere Gemeindelasten erwähnte ein Schreiben der Gemeinde Schaan
zus dem Jahr 1841 die Arbeiten an den Rheinwuhren (zur Eindämmung des
Rheins) sowie die «Öffnung von Canälen und Gräben». Die letztgenannte
Arbeit stand in Zusammenhang mit der ersten Phase der Trockenlegung des
Rietbodens im Liechtensteiner Talraum um die Mitte des 19. Jahrhunderts.
Damit wurden «bedeutende Culturoperationen vorgenommen, steiniges
Wald- und seichtes Riedterrain in erfolgreichen früchtetragenden Boden
und in reiche Felder umgewandelt».” Weitere Aufgaben waren Handlanger-
arbeiten bei der Errichtung öffentlicher Gebäude wie Kirchen und Schulen,
Rodungs- und Reinigungsarbeiten in den gemeindeeigenen Wäldern und
Alpen, Herstellung und Ausbesserung von Gemeinde- und Feldstrassen
sowie von Gemeindezäunen.”
Das Gemeindegesetz von 1842 gestattete es, dass der Verkäufer eines
Hauses dem Käufer nicht nur seine Liegenschaft, sondern auch sein bisheriges
Gemeindebürgerrecht vertraglich überliess.”® Dies war gedacht zur Förderung
der Freizügigkeit innerhalb Liechtensteins, war aber an nachfolgende
Bedingungen geknüpft: Die Gemeinde des Überlassers musste ihre Zustim-
mung zu dieser Bürgerrechtsübertragung geben; der Verkäufer durfte keine
ınmündigen Kinder haben. Das heisst, diese mussten bereits versorgt sein
oder der Verkäufer war kinderlos. Die Bürgerrechtsübertragung war indes
auch möglich, wenn der Überlasser seinen (unmündigen) Kindern, die damit
auch ihr Gemeindebürgerrecht verloren, einen anderen gleichwertigen
Vorteil bot ($ 32).°* Diese Bestimmung zeigt, wie sehr das liechtensteinische
Gemeindebürgerrecht von 1842 noch im traditionellen Verständnis von
der Gemeinde als Nutzungsgemeinschaft verankert war.
3 Vgl. dazu auch Kap. 5, hier zur Diskussion
MT Landtag zum Gemeindegesetz von 1864.
© Dieser Bestimmung liegt möglicherweise
die Absicht zugrunde, einheimische Hand-
werker und Gewerbetreibende zu schützen.
GAS A 9b/3: Schaaner Gemeindebeschluss
zu den Einbürgerungstaxen für Frauen,
30. Januar 1841; hier werden auch diese
weitere Lasten erwähnt, die Schaaner Bür-
gerhaushalte auf sich zu nehmen hatten.
ULLA RC 22/10: Zum neuen Gemeindege-
setz. Oberamtlicher Bericht an den Fürsten.
28. Mai 1842.
Ein Fallbeispiel für den Abtausch eines
Bürgerrechts ist in Kap. 8.1: Einheiratende
:rauen und Männer, hier Tabelle 5,
dokumentiert.
Das Gesetz macht keine Angaben zu
anderen, gleichwertigen Vorteilen. In
der Praxis konnte das nur heissen, dass
der Hausverkäufer mit seiner Familie ein
anderes liechtensteinisches Gemeinde-
süraerrecht erwarb.
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