Irene Lingg-Beck: Ja, die Familie bildet eigentlich nur eine einzige Linie
in Schaan. Johann Georg Lingg hatte als Bäcker wohl eine Perspektive in
Schaan, andere Verwandte ohne einen solchen die Existenz absichernden
Beruf hatten es schwerer.
Klaus Biedermann: Es fällt auch bei anderen, im 19. Jahrhundert in
Schaan eingebürgerten Geschlechtern auf, dass sie nur eine Linie bildeten
oder zahlenmässig klein blieben, so etwa die Dünser und die Keckeis,
Irene Lingg-Beck: Mir kommt da gerade in den Sinn, dass mein Neffe
Christoph Lingg seit zwei Jahren Mitglied des Schaaner Gemeinderats ist.
Er ist während der laufenden Mandatsperiode für einen ausscheidenden
Gemeinderat nachgerückt. Es haben sich damals alle gefreut über das neue
Gemeinderatsmitglied. Jetzt bei den Gemeindewahlen vom 20. Februar
2011 war Christoph Lingg erneut als Vertreter der VU aufgestellt.?®
Sein Vater — mein Bruder — sagte dazu, er würde seinem Sohn die Wahl
in den Gemeinderat wünschen. Doch er wäre etwas skeptisch über dessen
Erfolgschancen, denn die Familie Lingg — so die Aussage meines Bruders —
sei halt in Schaan nicht so bekannt. Auch wenn es nicht direkt gesagt
wurde, so spürt man aus dieser Aussage doch heraus, dass die Familie
Lingg nicht ganz dazu gehört. Familienangehörige der Lingg sind zwar
nicht mehr Menschen zweiter Klasse, aber doch «eins, komma» und
«d Lingga sind halt ka Ur-Schaaner».?**
Klaus Biedermann: Oft-reichte schon der Wechsel in das Nachbar-
dorf, um aus einem ehemaligen Bürger einen Fremden zu machen. Da
denke ich etwa an Angehörige der Vaduzer Familie Rheinberger, die
im 19. Jahrhundert nach Schaan zogen, dort aber erst nach mehreren
Jahrzehnten eingebürgert wurden.
Irene Lingg-Beck: Ja; da gab es schon einige Geschlechter in Schaan, die nicht
ganz zum «Kuchen» gehörten: Keckeis sowieso nicht, aber auch einzelne
andere Familien nicht, wie Dünser und Lingg. In Basel würde man sagen:
Sie gehörten nicht zum «Daig» (lacht).
% Vaterländische Union (VU), politische
Partei in Liechtenstein, 1936 aus der
-usion der christlich-sozialen Volksparte'
Ind dem Liechtensteiner Heimatdienst
antstanden.
Christoph Lingg wurde bei den Wahlen
vom 20. Februar 2011 als Gemeinderat
in Schaan bestätigt. Seine Partei, die VU,
erhielt fünf Sitze im Gemeinderat, Chris-
toph Lingg erhielt das viertbeste Resultat
auf der VU-Kandidatenliste
Klaus Biedermann: Sebastian Dünser wurde aber bereits 1833 in Schaan
eingebürgert. Er war Lehrer und Beamter, gehörte also wohl nicht zur
Unterschicht.
Doch vielleicht hängt dieses Gefühl, nicht ganz dazu zu gehören, damit
zusammen, dass diese Familien mit ihren Beamten, Gewerbetreibenden und
Handwerkern eben keine klassischen Bauernfamilien waren.