5.4 DIE VERFASSUNGS- UND GESETZGEBUNG VON 1862/64
5.4.1 DIE VERFASSUNG VON 1862
Otto Seger: Fünfzig Jahre Zollvertrag
Schweiz-Liechtenstein. In: JBL, Bd. 73.
Vaduz 1973, S. 5-58, hier S. 8-9,
Vgl. Kap. 3.6: Mitgliedschaft im
Deutschen Bund und Anbindung an
Österreich; der Ständelandtag setzte sich
aus den Ortsrichtern (Vorstehern) und
Kassierern der elf Gemeinden, drei Geist-
lichen und einem Vertreter Österreichs
zusammen.
2 Peter Geiger: Geschichte 1970, 5. 225-226
3 E£bd., 248-274,
* Erst die Verfassung von 1921 verankerte
die Staatsgewalt in den zwei Souveränen
Fürst und Volk.
Die wirtschaftliche Isolation Liechtensteins konnte durch den Abschluss
eines Zollvertrags mit Österreich im Jahr 1852 beendet werden. Die Zoll-
stationen zwischen Österreich und Liechtenstein wurden aufgehoben,
österreichische Zöllner standen nun an der liechtensteinisch-schweizerischen
Grenze, Die aufgrund dieses Vertrags von Österreich an Liechtenstein
geleisteten Zollzahlungen machten bereits in den Jahren 1852 bis 1860
rund die Hälfte der liechtensteinischen Staatseinnahmen aus.”
Da aber Mitte der 1850er Jahre die Staatsausgaben die Staatseinnahmen
in Liechtenstein deutlich überstiegen, rief der Fürst auf den 14. Oktober 1857
den Ständelandtag zusammen, auf der Basis der wieder geltenden Verfassung
von 1818.71! Der Ständelandtag hatte das fürstliche Steuerpostulat, das
Mehreinnahmen für den Staat vorsah, abzusegnen. Erstmals seit 1849 tagte
nun wieder regelmässig eine Volksvertretung in Liechtenstein. Die Einberu-
fung dieses Ständelandtags hatte der Bevölkerung ein Forum gegeben, in dem
sie ihre Wünsche erneut vortragen konnte. Tatsächlich bat der Ständelandtag
1857 den Fürsten um Gewährung einer Verfassung, welche Mitbestimmung
und eine gewählte Volksvertretung ermöglichen sollte.”
Am 30. März 1861 wurde in Wien Karl Haus von Hausen als neuer
liechtensteinischer Landesverweser vereidigt. Aufbauend auf den Vorarbeiten
seines Vorgängers Menzinger arbeitete er einen Verfassungsentwurf aus,
der sich an das österreichische Vorbild anlehnte. Im Jahr zuvor, nach der
militärischen Niederlage Österreichs in Italien, hatte der Kaiserstaat eine
Verfassung erhalten, was den Weg für die konstitutionelle Monarchie
auch in Liechtenstein ebnete. Doch sowohl Menzinger wie auch Karl von
Hausen hatten für ihre Verfassungsentwürfe keine Volksvertreter zu Rate
gezogen, was den Ständelandtag in Vaduz befremdete. Abgeordnete des
Ständelandtags lehnten diese Verfassungsentwürfe ab und wählten am
10. Oktober 1861 einen eigenen Verfassungsausschuss. Dieser Ausschuss
wurde von einem Komitee präsidiert, bestehend aus dem Geistlichen Josef
Anton Wolfinger, Dr. Karl Schädler und Tierarzt Christoph Wanger. Schädler
und Wanger hatten bereits dem Verfassungsrat von 1848/49 angehört.”
Dieses Komitee — dessen Hauptarbeit Karl Schädler leistete — griff
die Verfassungsentwürfe von 1848/49 wieder auf, stellte aber moderatere
Forderungen. Verzichtet wurde zum Beispiel auf die Forderung nach einer
gemeinsamen Verankerung der Staatsgewalt beim Fürsten und beim Volk.”
Stattdessen blieb der Fürst alleiniger Inhaber der Staatsgewalt. Verlangt
wurde indes eine entscheidende Mitwirkung des Landtags an der Gesetz-
gebung, beim Abschluss von Staatsverträgen und bei der Aushebung
von Soldaten. Der Landtag sollte zudem die Kompetenzen bekommen,
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