Die Garantie der Handels- und Gewerbefreiheit steht, was die in- stitutionelle Seite betrifft, wohl zwischen der schweizerischen und der deutschen Verfassungslage. Sie ist gekennzeichnet durch den Traditions- anschluss – ursprüngliche Orientierung an der in die alte Bundesverfas- sung von 1874 aufgenommenen Handels- und Gewerbefreiheit, jedoch ohne die Übernahme des Verfassungsvorbehaltes für bestimmte Wirt- schaftspolitiken. Die Garantie der Handels- und Gewerbefreiheit geht damit weiter als Art. 12 GG, aber weniger weit als Art. 27 BV i. v. M. Art. 94 Abs. 4 und 96 BV. Falsch wäre es deshalb, in Analogie zur Recht- sprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts von einer «wirt- schaftspolitischen Neutralität» der Landesverfassung zu sprechen.126 Der Staatsgerichtshof hat diese Konzeption in seinem Urteil vom 2. Mai 1988 treffend wie folgt formuliert: «Art. 36 der Verfassung bestimmt, dass Handel und Gewerbe innerhalb der gesetzlichen Schranken frei sind. Die liechtensteinische Verfassung enthält somit eine besondere Ga- rantie der Handels- und Gewerbefreiheit und geht insofern weiter als die Verfassungen von Staaten, die nur einzelne Aspekte der wirtschaftlichen Betätigung, zum Beispiel die Berufswahlfreiheit, besonders gewährleis- ten und im übrigen die wirtschaftliche Tätigkeit im Rahmen und nach Massgabe anderer Grundrechte, wie des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Eigentumsgarantie, beurteilen [. . .]. Die liechten- steinische Verfassung geht andererseits in Art. 36 weniger weit als die schweizerische Bundesverfassung, welche die Handels- und Gewerbe- freiheit grundsätzlich umfassend gewährleistet, indem wirtschaftspoli- 749
Handels- und Gewerbefreiheit 126Auch die Feststellung der «wirtschaftspolitischen Neutralität» des Grundgesetzes darf freilich nicht in dem Sinn missverstanden werden, als sei das Grundgesetz ge- genüber wirtschaftspolitisch motivierten Eingriffen indifferent. Hierzu: Stern, Staatsrecht, Band IV/1, S. 1766 f.; Vallender / Hettich / Lehne, Wirtschaftsfreiheit, § 2 Rz. 43–46. «Die ‹wirtschaftspolitische Neutralität› des Grundgesetzes besteht le- diglich darin, dass sich der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich für ein bestimmtes Wirtschaftssystem entschieden hat. Dies ermöglicht dem Gesetzgeber, die ihm je- weils sachgemäss erscheinende Wirtschaftspolitik zu verfolgen, sofern er dabei das Grundgesetz beachtet.» BVerfGE 4, 7, 17 f. (Investitionshilfe-Urteil); bestätigt in: BVerfGE 7, 377, 400 (Apotheken-Urteil); BVerGE 50, 290, 336 ff. (Mitbestim- mungs-Urteil). Was namentlich die Beachtung der Berufsfreiheit bedeutet, woraus sich unter Anwendung der Dreistufentheorie ein substanzieller Grundrechtsschutz ergibt. Vgl. hierzu auch Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 39 ff., und Vallen- der, Wirtschaft, S. 947.51