Volltext: Grundrechtspraxis in Liechtenstein

Besteht ein Widerspruch77zwischen (primärem oder sekundärem) EWR-Recht und einer eingereichten Gesetzesinitiative, ist vom absolu- ten Vorrang des EWR-Rechts auszugehen.78Mit Art. 70b VRG wurde im Wege der Gesetzgebung eine Beschränkung des Inhalts von Geset- zesinitiativen eingeführt, die ohne Weiteres zulässig ist. Der Gesetzgeber kann der Abänderung der Gesetzgebung selbst Schranken setzen. Eine Gesetzesinitiative, die gegen EWR-Recht verstösst, ist nach Art. 70b VRG für ungültig zu erklären. Zielt die Initiative dagegen auf eine Änderung der Landesverfas- sung, kommt dem EWR-Recht keine uneingeschränkte derogierende Kraft zu. Zwingenden Vorrang geniesst nach der hier vertretenen Auf- fassung nur das primäre EWR-Recht (EWRA).79Dieses hat materiell verfassungsändernden bzw. -ergänzenden Charakter.80Die Zustimmung der Stimmberechtigten zum EWR-Abkommen im Rahmen der Volksab- stimmung erfolgte im Wissen um dessen rechtliche Folgen, also mit An- erkennung des Vorranges des EWR-Abkommens. Mit der Ratifizierung haben die Mitgliedstaaten Kompetenzen übertragen und dadurch ihre Souveränität beschränkt.81Verfassungsinitiativen, die gegen das EWR- Abkommen verstossen, sind daher unzulässig.82 660Bernhard 
Ehrenzeller / Rafael Brägger 77Dafür ist stets vorauszusetzen, dass auch im Wege der völkerrechtskonformen Aus- legung kein Ausgleich zwischen den beiden in Frage stehenden Rechtsnormen er- zielt werden kann, vgl. Kley, Auslegung, S. 75, und Bussjäger, Rechtsfragen, S. 144. 78Vgl. auch VGH 2005/94, LES 2006, S. 300 (305). 79Anderer Meinung Hoop, Auswärtige Gewalt, S. 305, der sowohl dem EWRA als auch dem EWR-Sekundärrecht Überverfassungsrang zugesteht, sowie Hoch, Ver- fassungs- und Gesetzgebung, S. 209 m.w.H. Differenzierend Bussjäger, Rechtsfra- gen, S. 143 ff. 80StGH 2011/104 Erw. 2.1; StGH 2004/45 Erw. 2.1; StGH 1998/3, LES 1999, S. 169 (171); StGH 1996/34, LES 1998, S. 74 (80). So auch Bruha Thomas / Büchel Markus, Staats- und völkerrechtliche Grundfragen einer EWR-Mitgliedschaft Liechten- steins, in: LJZ 1/1992, S. 3 ff., S. 5, und Bussjäger, Rechtsfragen, S. 141. Zurückhal- tender noch VBI 1997/85, wonach mindestens von übergesetzlichem Rang des EWRA auszugehen sei. VGH 2005/94, LES 2006, S. 300 (305) lässt die Frage des Vorrangs vor der Verfassung ausdrücklich offen. Vgl. auch Becker Stefan, Das Ver- hältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nach Massgabe der Praxis des Staats- gerichtshofes des Fürstentums Liechtenstein, Diss. Fribourg 2003, S. 335 ff. 81Vgl. betreffend den EWG-Vertrag das Urteil des EuGH vom 15.07.1964, Rs. 6/64, Costa / ENEL,Slg. 1964, S. 1251, S. 1269 ff.; Herdegen Matthias, Europarecht, 12. Auflage, München 2010, § 11 Rz. 1. Als Mangel verbleibt, dass das EWRA kei- nen Eingang in die Liste von Art. 15 Abs. 2 StGHG der durch internationale Über- 
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