Volltext: Grundrechtspraxis in Liechtenstein

die Anklage beruht, bei der ersten Verständigung genannt zu werden.88 Sowohl eine Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes als auch Än- derungen im Sachverhalt sind dem Beschuldigten mitzuteilen, da er aus- reichend Zeit und Gelegenheit haben muss, um seine Verteidigung dem- entsprechend ausrichten zu können. Werden ihm solche Angaben vor- enthalten, verletzt dies Art. 6 EMRK, und zwar unabhängig davon, ob der Beschuldigte Akteneinsicht oder eine Wiedereröffnung der Ver- handlung hätte beantragen können.89Der EGMR lässt allerdings eine Heilung solcher Verstösse zu, wenn das Rechtsmittelgericht umfassend über die Tat- und Rechtsfragen entscheiden kann und der Beschuldigte genügend Gelegenheit hatte, den neuen Vorwürfen entgegenzutreten. Wenn allerdings ein Rechtsmittelgericht nur über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet, ist eine Heilung nicht möglich.90 Die Aufklärung über die zur Last gelegte Tat muss in einer dem Be- schuldigten verständlichen Sprache erfolgen. Dies erfordert nach der Rechtsprechung des EGMR die Übersetzung wenigstens der offiziellen Mitteilung über die Einleitung des Strafverfahrens und gegebenenfalls auch des Haftbefehls.91Im Übrigen ist jedoch das Recht auf Übersetzung beschränkt. Es besteht weder ein Anspruch auf Übersetzung der gesam- ten Gerichtsakte noch ist es in jedem Fall geboten, die Anklageschrift zu übersetzen. Eine solche Übersetzung kann etwa dann unterbleiben, wenn der Angeklagte aufgrund vorangegangener Vernehmungen im Bei- sein eines Dolmetschers hinreichend über die ihm zur Last gelegten Tat- bestände informiert wurde und aus seinem Vorbringen im Verfahren her- vorgeht, dass er über den Inhalt der Anklage Bescheid weiss bzw. den In- halt der Anklage verstanden hat.92Dabei ist allerdings zu beachten, «dass 453 
Recht auf wirksame Verteidigung 88Frowein / Peukert, EMRK, S. 254 Rz. 282; vgl. zum Gegenstand der Unterrichtung auch einlässlich Gollwitzer, Menschenrechte, Rz. 167 ff. 89Siehe Meyer-Ladewig, EMRK, S. 178 Rz. 224 mit Rechtsprechungsnachweisen; vgl. auch Frowein / Peukert, EMRK, S. 254 Rz. 283. 90Vgl. Meyer-Ladewig, EMRK, S. 178 Rz. 224 mit Rechtsprechungshinweisen; vgl. auch Grabenwarter, EMRK, S. 380 Rz. 98, und Gollwitzer, Menschenrechte, Rz. 166. 91Vgl. Grabenwarter, EMRK, S. 380 Rz. 99; siehe auch StGH 2010/116, Urteil vom 28. März 2011, nicht veröffentlicht, S. 12 Erw. 2.2, und StGH 2010/161 und StGH 2011/34, Urteil vom 30. Juni 2011, nicht veröffentlicht, S. 20 Erw. 2.3. 92Siehe Grabenwarter, EMRK, S. 380 Rz. 99, und Frowein / Peukert, EMRK, S. 254 f. Rz. 284; vgl. auch StGH 2010/116, Urteil vom 28. März 2011, nicht veröffentlicht, S. 12 f. Erw. 2.2, sowie StGH 2010/161 und StGH 2011/34, Urteil vom 30. Juni 2011, nicht veröffentlicht, S. 20 Erw. 2.3.16
	        

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