Volltext: Grundrechtspraxis in Liechtenstein

der nach der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes noch nach derjeni- gen der EMRK-Organe beim Strafvollzug zur Anwendung.53Im Zu- sammenhang mit dem Einspruchsverfahren gegen die Anklageschrift hat der Staatsgerichtshof unlängst festgehalten, «dass die Einsprache gegen die Anklage eine zusätzliche, dem Strafprozess vorgeschobene Schranke darstellt, welche gemäss EMRK nicht erforderlich wäre und an welche nicht die gleichen verfahrensrechtlichen Anforderungen zu stellen sind, wie an den Strafprozess selbst.»54Der Staatsgerichtshof meint hier wohl mit Strafprozess das Hauptverfahren bzw. die Hauptverhandlung. Das Einspruchsverfahren bildet nämlich auch einen Bestandteil des Straf - prozesses. Es wäre daher zutreffender, den zeitlichen Geltungsbereich ins Spiel zu bringen, wie es hier zumindest implizit geschieht, wenn der Staatsgerichtshof von einer «dem Strafprozess vorgeschobenen Schranke» spricht.55 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Recht auf wirksame Verteidigung im Sinne von Art. 33 Abs. 3 LV und Art. 6 Abs. 1 und 3 EMRK ähnlich wie in Österreich sowohl im gerichtlichen als auch im Verwaltungsstrafverfahren zur Anwendung gelangt. Der Staatsgerichtshof folgt dabei der Rechtsprechung des EGMR, der, was die Auslegung des sachlichen Geltungsbereichs von Art. 6 EMRK an- langt, autonom vorgeht, wobei er den Sinn und Zweck der EMRK sowie die vorherrschenden Auffassungen in den Rechtsordnungen der Kon- ventionsstaaten berücksichtigt.56Der Staatsgerichtshof anerkennt über- 446Tobias 
Michael Wille 53StGH 2009/23, Urteil vom 23. Oktober 2009, <www.gerichtsentscheide.li>, S. 12 Erw. 3.2. Siehe auch StGH 2001/75, Entscheidung vom 24. Juni 2002, <www.stgh. li>, S. 8 f. Erw. 3 und S. 10 Erw. 6, und StGH 2005/30, Urteil vom 3. Juli 2006, <www.stgh.li>, S. 19 Erw. 2.3. 54StGH 2009/100+101+102+103, Urteil vom 2. März 2010, nicht veröffentlicht, S. 30 Erw. 3.2. Ähnlich argumentiert der Staatsgerichtshof in StGH 2010/122+134, Urteil vom 6. Februar 2012, nicht veröffentlicht, S. 140 Erw. 2.2.2, wenn er ausführt, dass es im Beschwerdefall nicht um die Frage der Schuld und der Bestrafung eines An- geklagten, sondern um die Abschöpfung der Bereicherung aus der Begehung eines Delikts geht, sodass der Grundsatz nulla poena sine lege nicht anwendbar ist, wie auch die entsprechenden grundrechtlichen Verfahrensgarantien nicht mit der glei- chen Strenge anzuwenden sind. 55StGH 2009/100+101+102+103, Urteil vom 2. März 2010, nicht veröffentlicht, S. 30 Erw. 3.2. 56Siehe dazu und insbesondere zum Begriff «strafrechtliche Anklage» Frowein / Peu- kert, EMRK, S. 146 Rz. 5 und S. 158 ff. Rz. 25 ff.; Grabenwarter, EMRK, S. 337 ff. Rz. 16 ff., und Meyer-Ladewig, EMRK, S. 124 ff. Rz. 21 ff. 9
	        

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