Volltext: Grundrechtspraxis in Liechtenstein

V.Individualrechtliches Leitbild der Menschen- und Grundrechte Der Sozial- und Interventionsstaat des 21. Jahrhunderts übernimmt eine umfassende Verantwortung für das menschliche Leben. Orientiert an ei- nem staatskaritativen Leitbild entstehen zahllose Pflichten und Verant- wortlichkeiten des Staates. Das Gemeinwesen ist jetzt etwa dafür ver- antwortlich, dass sich die Menschen nicht unvernünftig verhalten oder «falsche» Meinungen vertreten. Aus diesem Grund sind verschiedene Gebote der political correctness zu Rechtspflichten umgegossen wor- den. Das zeigt beispielhaft etwa das Kinder- und Jugendgesetz vom 8. Dezember 2008.59Seine zahlreichen Ziele umfassen nicht zuletzt die Gesinnung der Kinder und Jugendlichen, wenn etwa die Erziehung zur Achtung der Menschenrechte und zu Toleranz (Art. 1 Bst. f) gefordert wird. Die Kinder und Jugendlichen werden vor den zahlreichen geisti- gen Gefahren geschützt; so sieht Art. 63 Bst. d den Schutz vor «Diskri- minierung wie Sexismus und Rassismus, politischer Radikalisierung wie Rechtsradikalismus, Gewalt, Gewalt- und Kriegsverherrlichung sowie anderen Formen der Menschenverachtung» vor (interessanterweise ist der Linksradikalismus keine Gefahr). Diese umfassenden Schutzvorstel- lungen und Allzuständigkeiten stehen freilich in einem diametralen Ge- gensatz zur liberalen Freiheitsidee, die es dem Menschen zutraut, dass er selber die Freiheit vernünftig und sinnvoll gebrauchen kann. Ein zwar für die Freiheit wenig vertrauenswürdiger Gewährsmann, aber in seinen Formulierungen bestechender Autor, Carl Schmitt, formulierte die Idee grundrechtlicher Freiheit so: «Was Freiheit ist, kann nämlich in letzter Instanz nur derjenige entscheiden, der frei sein soll. Sonst ist es nach al- len menschlichen Erfahrungen mit der Freiheit schnell zu Ende.»60Die Steigerung des Sozial- und Interventionsstaates zum Präventionsstaat gefährdet direkt die liberale Freiheitsidee einer zunächst allgemeinen Freiheit, die freilich beschränkbar ist. Diese Entwicklung ist in allen eu- ropäischen Staaten in Gang und es ist zur Zeit nicht abzusehen, ob sie 31 
Geschichtliche Entwicklung der Grundrechte in Liechtenstein 59LGBl. 2008 Nr. 29, LR 852.0. 60Schmitt Carl, Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung (1931), in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, Berlin 1958, S. 140 ff., insb. S. 167; ähnlich ders., Grundrechte und Grundpflichten (1932), ebd., S. 181 ff., insb. S. 208 f.36
	        

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