Volltext: Grundrechtspraxis in Liechtenstein

Ausprägungen: Die eine schützt die Einzelnen gegenüber dem Staat (grundrechtliche Tragweite) und die andere nimmt die Einzelnen in ih- rem Verhalten gegenüber dem Staat in die Pflicht (allgemeiner Rechts- und Verfassungsgrundsatz). Das letztere ist etwa dann der Fall, wenn sich die Einzelnen gegenüber dem Staat rechtsmissbräuchlich oder wi- dersprüchlich verhalten. Treu und Glauben in diesem allgemeinen Sinne ist ein in allen Rechtsgebieten gültiger allgemeiner Rechtsgrundsatz, der auf der Stufe des formellen Gesetzes steht. Der Grundsatz von Treu und Glauben gilt auch im liechtensteini- schen Recht. Räumt der Grundsatz dem Einzelnen Rechte ein, dann lässt er sich auf Art. 31 Abs. 1 LV abstützen; er hat also einen grund- rechtlichen Charakter. Soweit der Grundsatz von Treu und Glauben den Einzelnen Pflichten auferlegt, lässt er sich nicht auf Art. 31 Abs. 1 LV ab- stützen, denn diese Bestimmung dient ausschliesslich dem Schutz der Einzelnen gegenüber dem Staat.203Vielmehr ist für diesen Fall dessen Charakter als allgemeiner Rechtsgrundsatz heranzuziehen. Im privatrechtlichen Verkehr des Gemeinwesens mit den Einzel- nen gelten die Grundsätze aus Art. 2 Abs. 1 PGR und Art. 2 Abs. 1 SR direkt, weil hier die öffentliche Hand als Trägerin von Privatrechten grundsätzlich der Privatrechtsordnung unterworfen ist.204 Die folgenden Ausführungen beziehen sich allein auf die grund- rechtliche Tragweite von Treu und Glauben. Der grundrechtliche Gehalt von Treu und Glauben kristallisiert sich in der Rechtsanwendung an zwei häufigen Fallkonstellationen, nämlich dem Vertrauensschutz (nachfolgend Ziff. 3) und dem Verbot behördlichen Rechtsmissbrauchs (Ziff. 4). In der Rechtsetzung begrenzt Treu und Glauben das Recht des Gemeinwesens, das geltende Recht jederzeit abzuändern.293 
Rechtsgleichheit und Grundsatz von Treu und Glauben 203So auch der StGH 2008/129, Urteil vom 23. Oktober 2009, Erw. 2.1, abrufbar un- ter <www.gerichtsentscheide.li>: Dem Grundsatz kommt «nur in eingeschränktem Umfang Grundrechtscharakter zu». Zu undifferenziert noch StGH 1979/7, Gut- achten vom 11. Dezember 1979, LES 1981, S. 116 (118). 204Vgl. Kley, Grundriss, S. 235.83 
84 85
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.