Volltext: Grundrechtspraxis in Liechtenstein

Zu differenzieren ist aber nicht nur danach, wen eine Meinungs- äusserung trifft, sondern auch danach, wer die Meinung äussert: Wie schon erwähnt, darf die Meinungsfreiheit von Personen, welche in einem engen Bezug zum Staat oder zu einer öffentlichen Anstalt stehen, im Grundsatz stärker eingeschränkt werden als bei anderen Grundrechts- trägern.83Insbesondere dürfen hier verpönte Meinungsäusserungen auch disziplinarisch geahndet werden. Doch kann auch in solchen Sondersta- tusverhältnissen auf eine differenzierte Verhältnismässigkeitsprüfung nicht verzichtet werden.84Unverhältnismässig ist etwa die Streuung ab- schätziger Kritik an Vorgesetzten bei sämtlichen Mitarbeitern der Lan- despolizei, anstatt die Kritik zunächst gegenüber diesen Vorgesetzten oder noch höheren Instanzen vorzubringen.85 Auch Behördenmitglieder müssen sich besondere Einschränkun- gen der Meinungsfreiheit gefallen lassen, soweit deren Äusserungen nicht einfach als privat qualifiziert werden können. Allerdings fällt die Differenzierung, ob ein Behördenmitglied in Behördenfunktion oder 209 
Meinungsfreiheit hof interpretierte diese Aussage dahingehend, dass sich daraus nicht zwingend auch ein persönlicher Vorwurf des Rechtsanwalts gegen das Gericht herauslesen lasse. Der Staatsgerichtshof nahm dabei ausdrücklich auf die Bundesgerichtspraxis Bezug, wonach die «Pflicht und das Recht, Missstände aufzuzeigen und Mängel des Ver- fahrens zu rügen», zur Vermeidung eines chilling effect weit auszulegen sind. «Wenn dem Anwalt unbegründete Kritik verboten ist, so kann er auch eine allen- falls begründete nicht mehr gefahrlos vorbringen» (BGE 96 I 525 S. 528). 83Siehe vorne Rz. 15 und 16. 84Siehe vorne Rz. 15. Siehe dagegen noch StGH 1985/7, LES 1987, 52 (54 Erw. 7 f.). Dort stellte sich die Frage der Verfassungsmässigkeit einer Disziplinarmassnahme gegen einen Lehrer, weil dieser das Schulamt in einem Leserbrief scharf attackiert hatte. Der Staatsgerichtshof schützte die Massnahme letztlich allein gestützt auf den Sonderstatus des Beschwerdeführers als Lehrer. Das Verfassungsgericht erachtete deshalb weder eine gesetzliche Grundlage für die verfügte Disziplinarmassnahme (siehe vorne Rz. 14 f.) noch eine Verhältnismässigkeitsprüfung als erforderlich. Vgl. zu dieser Entscheidung auch Höfling, Wirkgeschichte, S. 224 (mit Verweis auf BVerfGE 7, 198 [208 f.]). In der Erwägung des Staatsgerichtshofes, dass Diszipli- narmassnahmen «grundsätzlich im Rahmen der übergeordneten Normen, insbe- sondere in Einklang mit der verfassungsmässig gewährleisten Meinungsfreiheit an- zuwenden» seien, sieht Höfling aber immerhin Anklänge an die sogenannte Lüth- Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts, wonach Gesetze in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung des Grundrechts gesehen und so interpretiert werden müssen, dass der besondere Wert- gehalt des Grundrechts auf jeden Fall gewahrt bleibt. Siehe zum entsprechenden Schranken-Schranken-Denken auch vorne Fn. 51. 85VBI 2000/108, Erw. 12.20 21
	        

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