Volltext: Grundrechtspraxis in Liechtenstein

Die Bestimmung des Art. 27bis Abs. 2 LV kann, soweit sie sich auf das Verbot der «unmenschlichen Behandlung» und das (nicht explizit er- wähnte) Folterverbot bezieht, auch durch Notverordnungen des Fürs- ten gemäss Art. 10 Abs. 2 LV nicht sistiert werden. Hingegen erwähnt der Wortlaut des Art. 10 Abs. 2 LV nicht auch die – minder schwere – erniedrigende Behandlung. Die beiden Begriffe der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung bilden, wie aus der obigen Darstellung hervorgeht, in Art. 27bis Abs. 2 LV nun freilich keine Synonyme. Man wird allerdings im Sinne einer an Art. 3 EMRK orientierten, völker- rechtskonformen Interpretation davon ausgehen müssen, dass Art. 10 Abs. 2 LV keine Einschränkung des erst später eingefügten Gehalts des Art. 27bis Abs. 2 LV ermöglicht. Das Verbot richtet sich in der Praxis auch an den Strafrechtsgesetz- geber. Es können aber auch gesetzliche Regelungen im Bereich der Amts- und Rechtshilfe, des Strafvollzugs, aber auch des Gesundheitswe- sens oder des Arbeits- und Dienstrechtes betroffen sein. Erniedrigende Umstände im Rahmen einer Verhaftung können eine Grundrechtsver- letzung darstellen.38 In privaten Rechtsverhältnissen ist wiederum zu beachten, dass das Grundrecht grundsätzlich keine Drittwirkung entfaltet. Den Staat tref- fen allerdings Schutzpflichten. Zu denken ist etwa an das Bildungswesen und ein Züchtigungsverbot gegenüber Schülern39, das sowohl in staat - lichen wie auch privaten Einrichtungen gelten muss. Auch im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern wäre ein Züchtigungsrecht, jedenfalls ein solches mit erheblichen Auswirkungen auf die körperliche Integrität, mit der Verfassung nicht vereinbar.40 Im Bereich der Vollziehung sind typischerweise Akte, mit denen in die persönliche Freiheit des einzelnen eingegriffen wird, vom Grund- rechtsschutz erfasst, also regelmässig die Festnahme, die Hausdurchsu- chung und ähnliche Vorgänge. Unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK kann sich eine Verantwortlichkeit des Staates ergeben, wenn stichhaltige 123 
Der Schutz der Menschenwürde und des Rechts auf Leben 38Vgl. etwa das Urteil des EGMR in Wieser gg. Österreich vom 227.2007, 2293/03. 39Vgl. dazu BGE 117 IV 14 ff., wo allerdings auf diesen grundrechtlichen Aspekt nicht Bezug genommen wird und das Züchtigungsrecht mangels formeller gesetz - licher Grundlage abgelehnt wird. 40Vgl. BGE 129 IV 216 ff.24 
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