Volltext: Europäischer Föderalismus im Licht der Verfassungsgeschichte

Europäische Integration als föderaler Prozess 
nach erwächst einem Unionsbürger bei Wahrnehmung seines Freizügig- 
keitsrechts gemäss Artikel 21 AEUV — unabhängig von der Ausübung 
einer wirtschaftlichen Tätigkeit — ein Anspruch auf Gleichbehandlung 
und somit auch ein Recht im Aufenthalt: Mit davon umfasst ist der po- 
litisch brisante Bereich des Zugangs zu sozialen Rechten zz; Aufnahme- 
staat unter denselben Bedingungen wie für Staatsangehörige des jeweili- 
gen Mitgliedstaates, was der Unionsbürgerschaft auch eine soziale Di- 
mension verleiht.” Die Unionsbürgerschaft ist somit Quelle und Sym- 
bol fortschreitender politischer Integration, die eben nicht nur einen Zu- 
sammenschluss der Staaten, sondern auch der Vôlker darstellt. 
Das Bundesverfassungsgericht sieht allerdings in ihrem von der 
Staatsangehôrigkeit eines Mitgliedstaates abgeleiteten Status eine dauer- 
haft lediglich ergänzende Funktion der Unionsbürgerschaft, die darüber 
hinaus auch nicht weiterentwickelt werden dürfe.“ Dieser Gedanke, der 
die Unionsbürgerschaft gewissermassen in Konkurrenz zur nationalen 
Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates sieht, lässt allerdings den föde- 
ralen Charakter der EU abermals ausser Acht. Denn in föderalen Ord- 
nungen ist die Verdoppelung der Angehörigkeitsverhältnisse - zu Bund 
und Gliedstaat — geradezu typisch.? Solch eine «Bundesangehórigkeit» 
kann, wie im Falle konsolidierter Bundesstaaten, aber muss nicht, so im 
Falle fóderaler Staatenverbindungen, zugleich Staatsangehórigkeit sein.?e 
Ebenso lassen sich strukturelle Parallelen der Unionsbürgerschaft 
zu den Angehörigkeitsrechten der frühen Staatenverbindungen des 
19. Jahrhunderts sowie von frühen Bundesstaaten erkennen, in denen die 
  
93 Siehe dazu Thorsten Kingreen, Die Universalisierung sozialer Rechte im europäi- 
schen Gemeinschaftsrecht, in: Hage / Brinker (Hrsg.), Unionsbürgerschaft und so- 
ziale Rechte, Europarecht, Beiheft 1/2007, S. 43 ff., 65 ff.; Philipp Kubicki, Die sub- 
jektivrechtliche Komponente der Unionsbürgerschaft, Europarecht, Heft 4, 2006, 
S. 489 ff., 500; Ulrich Becker, Unionsbürgerschaft und soziale Rechte — zur Anwen- 
dung des Diskriminierungsverbots zugunsten von Unionsbürgern in der neueren 
Rechtsprechung des EuGH, Zeitschrift für Europáisches Sozial- und Arbeitsrecht, 
Bd. 1, 2002, S. 8 ff, 10. 
94  Lissabon-Urteil (Anm. 1) Ziffern 348, 350 der Entscheidung. 
95 Siehe insbesondere Schónberger (Anm. 58), S. 138 ff.; so auch Christian Tomuschat 
Staatsbürgerschaft — Unionsbürgerschaft - Weltbürgerschaft, in: Drexl et al. (Hrsg.), 
Europäische Demokratie, Baden-Baden 1999, S. 73, 86; Alexander Bôhmer Die 
Europäische Union im Lichte der Reichsverfassung von 1871 — Vom dualistischen 
zum transnationalen Föderalismus, Berlin 1999, S. 88 f. 
96 Schönberger, S. 143 ff. 
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