Europäische Integration als föderaler Prozess
messene Repräsentation in den Entscheidungsorganen und somit das
Ausmass seiner Mitbestimmungsrechte im Rahmen einer möglichen
EU-Mitgliedschaft als eine zentrale, kleinstaatenspezifische Herausfor-
derung zu sehen. So stösst etwa die Vorstellung einer eigenständigen
Vertretung eines Kleinstaates im Rat der EU bzw. eigener Abgeordneter
im Europäischen Parlament regelmässig auf Kritik. Ein endgültiges
Überstrapazieren der schon bestehenden Überrepräsentation von klei-
neren EU-Mitgliedstaaten und damit verbunden einer mangelnden de-
mokratischen Legitimation der EU wird befürchtet. Konkret wird ins-
besondere die mangelnde Verwirklichung des demokratischen Wahl-
rechtsgrundsatzes one man one vote im Europäischen Parlament sowie
die Übermacht des Rates der EU im Entscheidungsverfahren beanstan-
det. Kern des Problems solcher Demokratiedefizitthesen ist allerdings,
dass sie sich am nationalstaatlichen Leitbild einer parlamentarischen
Mehrheitsdemokratie orientieren, ohne den spezifischen Rechtscharak-
ter der EU oder zumindest ihren fóderalen Aufbau zu berücksichtigen./e
Denn es handelt sich um ein typisches Merkmal aller fóderalen
Ordnungen, dass auch bei der Zusammensetzung ihrer Entscheidungs-
organe eine stabile Balance zwischen dem Einheitsbestreben einerseits,
und der Wahrung der Vielfalt der Glieder andererseits, gefunden werden
muss. Das dadurch bestehende Spannungsfeld zwischen dem demokra-
tischen Repräsentationsgrundsatz one man one vote und dem völker-
rechtlichen Repräsentationsgrundsatz one state one vote rechtfertigt
nicht nur die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments nach dem
Prinzip der degressiven Proportionalitát sondern macht sich durchaus
75 Siehe dazu Marcel Kaufmann, Europäische Integration und Demokratieprinzip, Ba-
den-Baden 1997, S. 256 ff.
76 Siehe dazu Jochen A. Frowein, Die rechtliche Bedeutung des Verfassungsprinzips
der parlamentarischen Demokratie für den europáischen Integrationsprozess, Eu-
roparecht, Heft 4, 1983, S. 301 ff.; Oeter (Anm. 29), S. 75; Hans Peter Ipsen, Euro-
páisches Gemeinschaftsrecht, Tübingen 1972, $ 6 Rn. 48.
77 Insoweit zutreffend die Maastricht-Entscheidung des deutschen Bundesverfas-
sungsgerichts (Anm. 31), Rz. 100 ff.; dazu auch Rudolf Streinz, Demokratische Le-
gitimation der Rechtssetzung der Europäischen Gemeinschaft, Thüringer Verwal-
tungsblätter. Zeitschrift für öffentliches Recht und öffentliche Verwaltung 6 (1997),
S. 73 ff.; allgemein zur Rechtfertigung der Einschränkung, von Bogdandy, Grund-
prinzipien, in: ders (Anm. 22), S. 62 ff.
47