Thomas Bruba/ Emilia Breuss
schen Integration im Rahmen der Europäischen Union nicht gerecht. In
ihrer rückwärtsgewandten und zu staatsbezogenen Sichtweise zeigen
sich die Richter «blind» gegenüber der Existenz und den Eigenständig-
keiten post-nationaler Föderation jenseits von Bundesstaat und Staaten-
bund. Es bedarf einer «positiven» Beschreibung der Europäischen
Union, welche sich von einer etatistisch geprägten Bundesstaat-Staaten-
bund Dichotomie emanzipiert. Zu diesem Zweck ist zunächst einmal das
historisch-politische Projekt der europäischen Integration ernst zu neh-
men. Vor dem Hintergrund der Exzesse nationalstaatlichen Denkens in
der von zwei Weltkriegen geprägten ersten Hälfte des vergangenen Jahr-
hunderts ist die europäische Integration als Versuch der Überwindung
herkömmlicher Staatlichkeit zu verstehen, mittels derer Frieden und
Wohlfahrt in einem historisch neuartigen Gefüge post-nationaler Staat-
lichkeit und Überstaatlichkeit verwirklicht werden sollen." Die Vision
eines europäischen Bundesstaates hat bei der Gründung der Europäi-
schen Gemeinschaften zwar mit Pate gestanden, und zwar nicht uner-
heblich. Die Gründungseltern und frühen Gestalter der Gemeinschaft
waren durchweg «Föderalisten», von Robert Schuman über Paul Henri
Spaak und Walter Hallstein bis zu Konrad Adenauer und Alcide de Gas-
peri. Für ihre klassisch föderalistische Sichtweise steht die berühmte
Formulierung vom «unvollendeten Bundesstaat» des ersten Präsidenten
der EWG-Kommission Walter Hallstein.*? Diese Sichtweise war aber nie
konkurrenzlos und hat im Laufe der bald sechzigjahrigen, von Schritten
funktionaler Integration geprágten Geschichte der Europäischen Ge-
meinschaften, ihre Strahlkraft weitgehend verloren. Für die gegenwär-
tige Union mit 27 und bald noch mehr Mitgliedstaaten dürfte die klassi-
sche fóderale Perspektive dauerhaft kein Thema mehr sein.
Und dennoch geht parallel zur Erweiterung der Europäischen
Union auch der Prozess der Vertiefung des Integrationsprozesses weiter.
«Ausgleichselemente» in Form verstärkter intergouvernementaler Steue-
rung der Europäischen Union, etwa in Gestalt der mit dem Lissabon-
Annahme eines «Ultra-vires-Akts» sei die Angelegenheit ferner zuvor dem EuGH
zur Vorabentscheidung vorzulegen (Leitsatz 2 der Entscheidung). Text des Urteils
u.a. in Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2010, S. 828 ff.
47 Siehe bereits Steiger (Anm. 28).
48 Oeter (Anm. 29), S. 71.
49 . Walter Hallstein, Der unvollendete Bundesstaat, 1969.
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