Volltext: Europäischer Föderalismus im Licht der Verfassungsgeschichte

Europäische Integration als föderaler Prozess 
dungen und Begrenzungen des Integrationsprozesses vor, die ihre 
Grundlage in einem unreflektierten und unhistorischen Verständnis von 
Souveränität und Demokratie haben. Das Gericht legt ein nationalstaat- 
liches Demokratieverständnis der «Selbstbestimmung des Volkes» zu- 
grunde, wie es im Anschluss an die französische Revolution im 19. Jahr- 
hundert entwickelt wurde. Aber es berücksichtigt nicht die Wirklichkeit 
des Nationalstaates und die Bedingungen und Möglichkeiten seiner 
Existenz in der Gegenwart." Die Richter des 2. Senats des Bundesver- 
fassungsgerichts scheinen den Kategorien herkómmlicher Nationalstaat- 
lichkeit verhaftet zu sein. Der Begriff der Souveränität, ausschliesslich 
bezogen auf den Staat, wird gebetsmühlenartig wiederholt, sechsund- 
zwanzig mal in den verschiedensten Konnotationen (wahrend er sich im 
Text des Grundgesetzes nicht ein einziges mal findet). 
Kein Wort auch dazu, worin Souveränität angesichts der vielfälti- 
gen Bindungen und Interaktionen im Rahmen der europäischen Integra- 
tion sowie darüber hinaus (UNO, WTO, internationaler Menschen- 
rechtsschutz und Strafgerichte, usw.) überhaupt bestehen kann; was 
Souveränität — wenn man an dem Begriff denn festhalten will — heutzu- 
tage ausmacht.? Stattdessen wiederum mehrfach wiederholte Floskeln 
wie die von der Eigenschaft der Mitgliedstaaten als «Herren der Ver- 
träge» — passend zum Topos «Vertragsverbund souveräner Staaten». 
Aber stimmt das alles überhaupt? Als «Herren der Verträge» wird man 
die Mitgliedstaaten der Union allenfalls als Kollektiv bezeichnen kön- 
nen; nur gemeinsam - und das heisst einstimmig - können sie über das 
Gemeinschaftsrecht und die Vertráge verfügen; nicht jedoch einseitig? 
Das Bundesverfassungsgericht sieht das anders: Explizit wird 
Deutschland nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht zuerkannt, 
aus der Europáischen Union auszutreten, solle sich diese in einer bun- 
desstaatsáhnlichen Weise entwickeln. Zu diesem Zweck wird der sog. 
Ewigkeitsgarantie in Art. 79 Absatz 3 des Grundgesetzes eine nicht 
überschreitbare Grenze der europiischen Integration entnommen. Das 
37  Heinhard Steiger, Staatlichkeit und Mitgliedstaatlichkeit — Deutsche staatliche Iden- 
tität und Europäische Integration, in: Hatje/ Terhechte, (Hrsg.), Grundgesetz und 
europäische Integration. Die Europäische Union nach dem Lisaabon-Urteil des 
Bundesverfassungsgerichts, Europarecht, Beiheft 1/2010, S. 57 ff. 
38 . Steiger, in einer unveróffentlichten frühen Version des in Anm. 37 genannten Bei- 
trags. 
39 Steiger, a.a. O. 
37
	        

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