Europäische Integration als föderaler Prozess
2. Matrix der Bundesstaat-Staatenbund Dichotomie
Dies trifft insbesondere auf das der deutschen föderalistischen Tradition
behaftete Denken in den Gegensatzpaaren Bundesstaat als verfassungs-
rechtliches Konstrukt und Staatenbund als einer auf völkervertraglicher
Vereinbarung beruhenden Vereinigung souveräner Staaten zu.
Dieser schon vor Entstehung des Grundgesetzes kritisierten Sicht-
weise® hängt nach wie vor das deutsche Bundesverfassungsgericht an,
trotz der in der Maastricht-Entscheidung?! kreierten Beschreibung der
Europäischen Union als eines «Staatenverbundes», der weder Bundes-
staat noch Staatenbund sei. Allein, das genuin Eigenständige dieser neo-
logistischen Zuschreibung wird kaum positiv gewürdigt. Stattdessen fin-
det mehr im Stile einer «Defizitbeschreibung» eine «Negativdefinition»
der Europäischen Union gemessen an der Hintergrundfolie national-
staatlicher Bundesstaaten statt. So heisst es an den entscheidenden Stel-
len des Maastricht-Urteils:
«Die Europäische Union ist nach ihrem Selbstverstándnis [...] ein
auf eine dynamische Entwicklung angelegter [...] Verbund demo-
kratischer Staaten; nimmt er hoheitliche Aufgaben wahr und übt
dazu hoheitliche Befugnisse aus, sind es zuvörderst die Staatsvöl-
ker der Mitgliedstaaten, die dies über die nationalen Parlamente de-
mokratisch zu legitimieren haben. [...]. Im Staatenverbund der
Europäischen Union erfolgt [...] demokratische Legitimation not-
wendig durch die Rückkoppelung des Handelns europäischer Or-
gane an die Parlamente der Mitgliedstaaten; hinzu tritt - im Masse
des Zusammen wachsens der europäischen Nationen zunehmend —
innerhalb des institutionellen Gefüges der Europäischen Union die
Vermittlung demokratischer Legitimation durch das von den Bür-
gern der Mitgliedstaaten gewählte Europäische Parlament.»
Das klingt mehr nach Staatenbund denn Bundesstaat, wenn dies auch
nicht ausdrücklich so gesagt wird.
30 Siche unten, S. 42 ff.
31 BVerfG, 2 BvR 2134 vom 12. 10. 1993, BVerfGE 89, S. 155 ff.
32 Ziffern 96 ff. der Entscheidung, Hervorhebung durch die Verf.
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