Volltext: Europäischer Föderalismus im Licht der Verfassungsgeschichte

Peter Geiger 
Wie sah die Realität der 16. Kurie aus? Wie führte sie die Kuriat- 
stimme? In Frankfurt sass ein beauftragter Gesandter der Kurie. Die 
neun kleinen Staaten lagen sehr verstreut in Süd-, Mittel-, Nord- und 
Ostdeutschland. Im Falle von Liechtenstein führte der Fürst vom fernen 
Wien aus die Regierung.^ Für Beratungen und Beschlüsse in der Bun- 
desversammlung musste der Gesandte jedem der neun Höfe einzeln 
schreiben und deren Instruktion erfragen, danach sollten die neun In- 
struktionen abschriftlich an die jeweils acht andern Höfe geleitet werden 
— zusammen 72 Abschriften samt Kommentar. Dann hatte der Gesandte, 
nach allenfalls weiteren Instruktionen, das Gesamtvotum zusammenzu- 
stellen und in der Bundesversammlung einzubringen, danach wieder al- 
len neun Höfen zu berichten, alles handschriftlich. Mit andern Worten: 
Der Gesandte und seine beauftragten Schreibkräfte waren mit emsigem, 
ständigem Schreiben beschäftigt. Der Informationsaustausch zwischen 
den Kuriathöfen verlief in der Praxis freilich sehr lückenhaft. 
Über die Art der Führung und Gewichtung der 16. Kuriatstimme 
hatte man sich in einem Kuriatvertrag von 1816 geeinigt.® Lippe hatte ur- 
sprünglich vorgeschlagen, die Grösse der Staaten in der Kurie zu be- 
rücksichtigen, durch «Ponderieren» (Wägen, Gewichten) der einzelnen 
Teilstimmen; der kleinste Staat, Liechtenstein, hätte so gerade 1/54 zur 
16. Kuriatstimme beisteuern dürfen. Der Vorschlag wurde nicht aufge- 
nommen, jeder Staat erhielt in der 16. Kurie das gleiche Gewicht. Die 
Stimmführung und das Votum decisivum bei Stimmengleichheit inner- 
halb der Kurie rotierte. Gemäss Kuriatvertrag sollte die Kurie sich bei 
Stimmengleichheit der Mehrheit in der Engeren Bundesversammlung 
anschliessen.” Die geschilderte, äusserst umständliche Art der Instruk- 
tion und Kommunikation führte häufig dazu, dass der Gesandte der 16. 
Kurie sich in der Bundesversammlung für «nicht instruiert» erklären 
musste und die Kuriatstimme gar nicht einbringen konnte.? 
5 Die Archivalien dazu liegen im Hausarchiv der Regierenden Fürsten von Liechten- 
stein, Wien (HALW), sowie im Liechtensteinischen Landesarchiv (LLA) in Vaduz. 
6 Kuriatvertrag der Mitglieder der 16. Kurie vom 2. April 1816 (beglaubigte Abschrift 
vom 25. Mai 1853), HALW, 1862/12149, Beilage 2 ad 6009. - Geiger, Geschichte, S. 28. 
7 Quaderer, Geschichte, S. 210—213. - Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 541, 
Anm. 40. 
8 «Denkschrift über die Verháltnisse und Einrichtungen der sechzehnten Kurie» vom 
18. Juli 1851, von Schaumburg-Lippe, HALW S 319, Nr. 8561. — Geiger, Geschichte, 
S. 28 f. 
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