Föderale Bürgerschaft
tionssubjekt hier weder die segmentierten Völker der Einzelstaaten sind
noch ein aus Individuen aggregiertes Bundesvolk, sondern die föderativ
gegliederte Gesamtheit der Bundesangehörigen. Das Recht der Vereinig-
ten Staaten bietet bis heute reichhaltiges Anschauungsmaterial dafür.?
Die doppelte Zugehorigkeit des Einzelnen zu seinem Einzelstaat und
dem Bund spiegelt sich in der Struktur des bündischen Legitimations-
subjekts wider und zeigt sich auch in der Struktur der Institutionen auf
der Bundesebene, die Staatenkammer und Bürgerkammer kombiniert.
Wenn die Staatenkammer ein Rat ist wie in der Bundesrepublik und der
Europäischen Union, dann kann die foderale Verfassungsgeschichte der
Staatenbünde, die stets auf einem Ratssystem beruhte, besonderen Auf-
schluss über die damit verknüpften Strukturfragen und die Probleme
von dessen Demokratisierung bieten.*
Letztlich macht die Interpretation der europäischen Union im
Kontext der föderalen Verfassungsgeschichte überdies auf Eigenheiten
und Besonderheiten des europäischen Integrationsprozesses neu auf-
merksam. Denn es ist nicht zu übersehen, dass auch in den im Vergleich
zu Deutschland deutlich föderativeren Bundesstaaten Schweiz und USA
die föderale Entwicklungsgeschichte zugleich auch eine Geschichte von
Nationsbildung gewesen ist. Eine Entsprechung dazu ist bei der euro-
páischen Integration bis heute nicht erkennbar, und es ist mehr als zwei-
felhaft, ob ein derartiger Prozess angesichts der inneren Heterogenität
und bereits heute erreichten räumlichen Ausdehnung der Union — und
ihrer weiterhin absehbaren Erweiterung — künftig noch eintreten wird.
Es ist daher damit zu rechnen, dass die Union auf unabsehbare Zeit viele
Züge bewahren wird, die sich in der Verfassungsgeschichte der traditio-
nellen Bundesstaaten im Rückblick nur als Durchgangsstadium zu einer
entschiedeneren Konsolidierung der Bundesebene erwiesen haben. Die
fôderale Verfassungsgeschichte verweist uns dann sehr deutlich darauf,
dass es sich bei der europäischen Integration um ein fragiles und preká-
res Gebilde handelt, bei dem nicht ausgemacht ist, in welcher Form es ei-
nen gewissen Gleichgewichtszustand erreichen kónnte. Denn auch was
im Rückblick des Verfassungshistorikers manchmal wie zwangsláufig
33 Näher Schónberger, Unionsbürger (Fn. 10), S. 496 ff.
34 Dazu Beaud, Théorie de la Fédération (Fn. 30), S. 351 ff., und den Beitrag von Ste-
fan Oeter in diesem Band.
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