Giovanni Biaggini
Damit konnte ein doppeltes staatspolitisches Signal ausgesendet
werden: einerseits in die Richtung der Befürworter der Rechtseinheit
(mittels Ausweitung der Bundeskompetenzen), andererseits in die Rich-
tung der Kantone (Beibehaltung von Aufgaben). Dieser staatspolitische
Kompromiss kann auch als Versuch eingestuft werden, ein Element der
vertikalen Gewaltenteilung (und damit der Machtkontrolle) in das fóde-
ralistische System einzubauen: Indem man den Kantonen die Vollzugs-
kompetenz belásst, begrenzt man die Herrschaftsbefugnisse der Zentral-
gewalt (welche nur mittelbar über den Vollzug gebieten kann) und stärkt
man zugleich die Idee des Föderalismus. Hier deutet sich an, dass hinter
der Entscheidung für das Modell des indirekten Vollzugs auch
(macht)politisches Kalkül stehen kann.
Dieser Aspekt wird noch deutlicher, wenn man sich vergegenwär-
tigt, dass der indirekte Vollzug eine durchaus beträchtliche finanzielle
Last für die Gliedstaaten bedeuten kann, sofern — wie dies in der Schweiz
der Fall ist — die Finanzierung der Vollzugstátigkeit (d. h. der damit be-
trauten kantonalen Verwaltungsbehôrden) den Gliedstaaten bzw. ihren
Steuerzahlern obliegt? Andererseits kann. der indirekte Vollzug aus
gliedstaatlicher Sicht diesen Preis wert sein, denn:
— Im System des indirekten Vollzugs gibt es, jedenfalls dem Grund-
satz nach, keine Bundesbeamten «vor Ort»! Die gliedstaatliche
Territorialhoheit bleibt insoweit bestmöglich gewahrt.
— Der indirekte Vollzug eróffnet den Gliedstaaten bzw. ihren Ver-
waltungsbehôrden bedeutsame Einflussnahmemôglichkeiten in
bundesrechtlichen Angelegenheiten, dies insbesondere dann, wenn
der Vollzug, wie beispielsweise im Umweltschutzbereich, erheb-
liche Handlungsspielräume erôffnet.
20 Von dieser Regel gibt es Ausnahmen, so im Fall der sog. direkten Bundessteuer (für
natürliche Personen: Einkommenssteuer des Bundes): Diese wird von den Kanto-
nen veranlagt und eingezogen (indirekter Vollzug); die Kantone werden von Verfas-
sungsrechts wegen dafür entschädigt: «Vom Rohertrag der Steuer fallen ihnen min-
destens 17 Prozent zu.» (Art. 128 Abs. 4 BV).
21 Ausnahmen bestätigen die Regel. In der Schweiz gilt dies etwa für das mit der
Kontrolle der Aussengrenze betraute Personal des (Bundes-)Grenzwachtkorps,
das seit dem Beitritt der Schweiz zum «Schengen»-Raum nicht mehr nur an der
Grenze operiert und daher vermehrt in «Konkurrenz» zu den kantonalen Polizei-
korps tritt.
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