Rechtsetzung und Vollzug des Bundesrechts
Giovanni Biaggini*
1.
Einleitende Bemerkungen
Die «Emanzipation von der Dichotomie Bundesstaat-Staatenbund» bil-
det eine Art Leitmotiv der interdisziplinären Tagung am Liechtenstein-
Institut zum allgemeinen Verfassungsrecht föderaler Ordnungen. Dieses
Leitmotiv ist mir ın zweifacher Hinsicht sehr sympathisch. Zum einen
deshalb, weil ich (als Schweizer) aus einem Bundesstaat stamme, der
noch heute, d.h. über 160 Jahre nach der Bundesstaatsgründung (1848),
etliche staatenbündische Facetten zeigt. Beispiele dafür sind:
der offizielle Name in den Landessprachen lateinischen Ursprungs
(Confederation suisse, Confederazione svizzera, Confederaziun
svizra),!
die in der Verfassung figurierende Charakterisierung der Kantone
(Gliedstaaten) als «souverán» (Art. 3 BV),
die bundesstaatliche Kompetenzordnung im Bereich der ordentli-
chen Einbürgerung (Art. 38 BV)
der Bundesfeiertag, welcher nüchtern betrachtet auf einen Tag fal-
len müsste, der mit der Schaffung der modernen bundesstaatlichen
Der Verfasser dankt seinem Mitarbeiter lic. iur. Cem Arikan für die wertvolle Un-
terstützung bei der Vorbereitung und bei der Niederschrift des vorliegenden Bei-
trags.
Englisch liesse sich dies am ehesten mit «United States of Switzerland» adäquat
übersetzen. — Auf Deutsch lautet der offizielle Name «Schweizerische Eidgenossen-
schaft». Die lateinische Bezeichnung «Confoederatio helvetica» (abgekürzt: CH)
wurde erst etliche Jahre nach der Bundesstaatsgründung offiziell eingeführt.
Die ordentliche Einbürgerung erfolgt durch die Kantone; der Bund kann diesbe-
züglich nur «Mindestvorschriften» erlassen (Art. 38 Abs. 2 BV), die in erster Linie
eine allzu leichtfertige Vergabe des Bürgerrechts durch die Kantone verhindern sol-
len. Sache des Bundes ist demgegenüber die Regelung des Bürgerrechtserwerbs (und
-verlusts) durch Abstammung, Heirat und Adoption (Art. 38 Abs. 1 BV).
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