Oliver Diggelmann
dämmt. Die nie verwirklichte Europäische Verteidigungsgemeinschaft
hätte Sicherheit sogar direkt gegen Souveränität eintauschen sollen.!°
Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft trat schiesslich als partieller
Ausfallbürge ein. Auch sie diente sicherheitspolitischen Zielen, wenn
auch mehr indirekt, indem sie Verflechtungen und damit Stabilitätsinte-
ressen förderte. Die Anfänge der Supranationalität in Europa lassen sich
in der Gesamtsicht als eine Art Vorwärtsverteidigung begreifen. Der Un-
terschied zur Situation in Nordamerika besteht darin, dass die zu kon-
trollierende Gefahr hier eine Gefahr von innen und nicht von aussen war.
Am Rand verdient Erwähnung: Auch die Fortentwicklung der
amerikanischen Konföderation zur Union hatte entscheidend mit Si-
cherheitserwägungen zu tun. Die Sicherheitsfrage beherrschte auch nach
der Konföderationsgründung und dem Ende des Unabhängigkeitskrie-
ges mit England die Agenda. Die unmittelbare Bedrohung durch dieses
war zwar weggefallen. Es verblieben jedoch strategische Bedrohungen
sowohl durch England als auch Frankreich, das seine Ambitionen in
Nordamerika noch keineswegs aufgegeben hatte. Auch Spanien war
noch nicht endgültig aus Nordamerika verdrängt. Der grösste Teil der
Federalist Papers handelt nicht zufällig von Verteidigung und weit weni-
ger von Fragen der internen Organisation und der Innenpolitik.!® Die
Konfóderationsstaaten strebten im Prinzip eine Situation wie jene Eng-
lands an. Als Inselnation hatte es sich militàrischen Auseinandersetzun-
gen leichter entziehen können als die Nationen des europäischen Fest-
landes. Ausserdem ging man in Amerika von einem Zusammenhang
zwischen einem Dasein als Inselnation und einer freiheitlicheren Kultur
aus. Den Founding Fathers war bewusst, dass sich für England der Zu-
sammenschluss mit Wales und Schottland in vielen Hinsichten als vor-
teilhaft erwiesen hatte. Man wollte auf jeden Fall vermeiden, wie euro-
páische Festlandstaaten stándig in Dispute oder Kriege miteinander ver-
wickelt zu werden. Amerika wollte Inselnation werden.!!°
108 Vgl.insb. Art. 1 und 2 des EVG-Vertrages.
109 Der berühmte und eher demographisch und demokratietheoretisch argumentie-
rende Federalist Nr.10 war in der Praxis weniger einflussreich als vorher erschienene
Essays, etwa die Federalists Nr. 1 bis 6 sowie 8 und 9, die sich stark mit Fragen der
Grenzen und der Geographie befassten und in weit grósserer Zahl gedruckt wur-
den: Amar, a.a. O. (Anm. 28), S. 44.
110 Akhil Reed Amar schreibt dazu: «The question was not so much whether to pick a
big or a small island nation, but how to create an island nation in the first place —
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