Volltext: 25 Jahre Liechtenstein-Institut

dierte «für bemessene und gegen masslose Gebilde», die er der «Zerstö- rungsfähigkeit» der Grossen entgegensetzte.32 Nachdem die Gefahr, im Zweiten Weltkrieg zwischen den Grossen zerrieben zu werden, überstanden war, suchte Karl Schmid, der Schwei- zer Germanist, erneut die Eigenart des Kleinstaates zu bestimmen.33 Doch nun seien, verglichen mit den USA und der Sowjetunion, alle eu- ropäischen Staaten Kleinstaaten geworden. «Die Elemente des Unbeha- gens im Kleinstaat, wie wir sie so oft in der Schweiz, zwischen den Welt- kriegen aber auch in Deutschland feststellen, lassen sich heute auch in England, Frankreich, Österreich, Italien usf. erkennen, dass Gefühl nämlich, eher Objekt als Subjekt der Politik zu sein und auf keinen Fall mehr den Ort darzustellen, wo die geschichtlichen Entscheidungen ge- troffen werden.» Deshalb stehe heute, so schrieb er 1963, das «Denken in allen europäischen Staaten ... im Banne der amerikanischen und rus- sischen Grösse». Darin sah er den Grund für eine «von allen früheren unterschiedene Neugeburt des Grösse-Mythos». Früher habe sich die «Vorstellung vom Glück mit der Vorstellung von Grösse» des eigenen Staates verbunden, heute hingegen mit der «Erwartung, die 
sogenannte europäische Integrationals Hinwendung zunächst zu wirtschaftlicher Vereinigung, löse nicht nur konkrete Probleme, sondern erlöse in unbe- stimmter Weise überhaupt vom Schicksal der Kleinheit».34 Diese Hoffnung ist zweifellos von Beginn an mit dem europäi- schen Integrationsprozess verbunden und treibt ihn weiterhin an: die ge- meinsame Grösse als Garant für die Fähigkeit, im globalen Wettbewerb in den kleinen Klub der Grossen aufzusteigen und sich dort auf Dauer zu behaupten. Karl Schmid erkannte zwar das historisch Neue an diesem Versuch der europäischen Kleinen, sich durch Zusammenwirken macht- volle Grösse zu geben, doch die neuartigen Möglichkeiten, die sich da- rin für die Kleinen eröffnen, ihre historisch angestammten Eigenheiten zu bewahren, erörterte er nicht. 262Dieter 
Langewiesche 32Fritz Ernst: Die Sendung des Kleinstaats. Ansprachen und Aussprachen. Zürich: Atlantis Verlag 1940, 10, 23, 25. 33Vgl. insbes. Karl Schmid: Aufsätze und Reden. Zürich: Artemis Verlag 1957 (später als Nr. 1 nummeriert; Bände 2–4 erschienen 1967–77). 34Karl Schmid: Unbehagen im Kleinstaat. Untersuchungen über Conrad Ferdinand Meyer, Henri-Frédéric Amiel, Jakob Schaffner, Max Frisch, Jacob Burckhardt. Zü- rich: Artemis Verlag 1963, 235 f.
	        

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