Im Lager Ruggell 1945
In Ruggell wurden Baracken gebaut. Dort wurde in-
nert weniger Tage die ganze Truppe zusammengezogen,
ausser den Personen in Mauren und Holmstons «Wald-
eck»-Gruppe. Das Ruggeller «Russenlager» bestand bis
Ende des Jahres 1945.
Josef Salamaj kam ins Lager Ruggell. Allerdings fin-
det sich sein Name in den ersten Interniertenlisten nicht.
Er gab anfänglich offensichtlich einen falschen Namen
an, wie manche andere auch. In den Akten taucht sein
richtiger Name bis und mit 5. September 1945 nicht auf,”
erstmals dann am 7. September 1945, als er wie die an-
dern Internierten einen Lebenslauf abzufassen hatte,**
sowie dann im Internierten-Verzeichnis vom 4. Dezem-
ber 1945 ” und in allen späteren Listen.
Von da an ist Salamaj übrigens fast immer zusammen
mit zwei weiteren polnischen Ukrainern aufgeführt,
nämlich mit dem bereits erwähnten Peter Bury, der im
Lager Ebenfurth gleichzeitig als Wehrmacht-Dolmet-
scher rekrutiert worden war, und mit Michael Sinski, ge-
boren 1919 in Loszniow nahe Tarnopol.
Beim militärischen Grad ist auf den Internierten-
Listen zur Holmston-Truppe für Josef Salamaj und bei
Michael Sinski ein Fragezeichen «?» eingetragen, bei Pe-
ter Bury nichts,” bei Michael Sinski aber einmal auch
«Uof.» (Unteroffizier).??
Zuerst galt für die Internierten in Liechtenstein eine
Quarantäne von vier Wochen, vom 3. bis 31. Mai 1945.
Den russischen Offizieren wurde die Lagerführung
übertragen. Die Offiziere agierten noch im militärischen
Modus, sie liessen die Truppe täglich exerzieren und
hielten den Insassen militärische Vorträge.
Ab dem 1. Juni gab es die Möglichkeit, Arbeit anzu-
nehmen, fast ausschliesslich bei Bauern. Diesen waren die
Internierten willkommen, waren doch kaum einheimi-
sche Knechte aufzutreiben. Bei den Bauern erhielten sie
Verpflegung und einen kleinen Lohn, beziehungsweise
einen Anteil davon. Den andern Lohnanteil mussten die
Bauern und andere Arbeitgeber den Behörden abgeben,
er wurde jedem Internierten bei der Landeskasse gutge-
schrieben, als Reisegeld für die Auswanderung.
Viele Ausreisen, «Freiwillige des Todes»
Schon in den ersten Wochen und Monaten reisten
viele Internierte aus, fast durchwegs in die französische
Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 116, 2017
Zone nach Vorarlberg, um in die Sowjetunion repatriiert
zu werden. Es herrschte ja nun Friede. Innerhalb von
drei Monaten waren bereits 224 Internierte ausgereist.
Darunter waren auch vier ausgewiesene Russen, drei
wegen Diebstahls, einer wegen Liebesaffäre.
Als «Freiwillige des Todes» bezeichnete der Holm-
ston-Offizier Georgij Simon in seinem Tagebuch 1945 die
Russland-Heimkehrer mehrfach.“® Sinski, Salamaj und
Bury wollten nicht in Richtung Heimat gehen. Ende Juli
waren noch 270 Internierte im Land, im Ungewissen
über ihre Zukunft.
Sowjetischer und behördlicher Repatriierungsdruck
Fürst, Regierung und Landtag wollten die Internier-
ten möglichst rasch ausser Landes bringen. Im August
eskalierte die Situation. Noch weilten 263 Internierte im
Land. Eine sowjetische Repatriierungskommission er-
schien in der Schweiz, am 14. August 1945 auch in Va-
duz. Alle Internierten wurden am 16. August im Vadu-
zer Rathaussaal zusammengezogen, dort versprachen
die Sowjetoffiziere Rückkehrern Amnestie, ausgeschlos-
sen wären nur Kriegsverbrecher. Nur etwa 80 Männer
meldeten sich freiwillig zur Repatriierung. Darauf setz-
ten die liechtensteinischen Behörden Druck auf. Am
25. August wurden nochmals alle in den Vaduzer Rat-
haussaal gerufen, es meldeten sich weitere rund 50 Rus-
sen zur Heimkehr — aber über die Hálfte von diesen ging
dann doch nicht.
Am 30. August befahl die Regierung «alle Russen und
Russinnen» erneut nach Vaduz in die Turnhalle. Das
Gerücht ging, Zwangsauslieferung stehe bevor. Solche
verlangte die Sowjetkommission in der Tat. Aber nun
versteckten sich viele Internierte in Wäldern und Scheu-
nen, statt in Vaduz zu erscheinen, einzelne wurden von
Einheimischen verborgen. Delegationen aus der Bevöl-
kerung und von Geistlichen protestierten bei der Regie-
23 Liste der Internierten (Lager Ruggell, Turnhalle Vaduz, Gemeinde-
haus Mauren, Regierungsgebäude Vaduz), 5. September 1945,
LILA RF 230/043 u/.
24 LILA RF 230/043 s/38.
25 LILA RF 230/043 u/.
26 Liste vom 4. Dezember 1945, LI LA RF 230/043/22/1-55.
27 Liste vom 3. August 1945, LI LA RF 230/043 u/.
28 «Das Tagebuch des Georgij Simon» 1945 (Faksimile, russische
Transkription und deutsche Übersetzung), wiedergegeben in:
Geiger / Schlapp: Russen in Liechtenstein, S. 261—361.
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