Fortführung des Krieges gegen Stalin?
Wie der Vater viel später einmal dem Sohn anver-
traute, habe man im Februar 1945 nach dem Treffen von
Jalta, bei dem die Alliierten vereinbart hatten, alle Flücht-
linge und Gefangenen in die Herkunftsländer zurückzu-
führen, begriffen, dass man definitiv verloren habe. Doch
hätten damals die nach Unabhängigkeit strebenden Uk-
rainer noch gedacht, die Amerikaner würden, nachdem
sich Hitler ergäbe, dann zusammen mit den verbleiben-
den deutschen Kräften gegen die Sowjetunion kämpfen.
Solch restliche Hoffnung hegten in jenen Wochen des Feb-
ruar und März auch Salamaj und Kollegen immer noch.‘
Es war auch Holmstons Hoffnung. Sie schwand schnell.
Josef Salamajs Leben hing nun vom Schicksal der
Holmston-Armee ab. Was war dies für eine Truppe? Die
Wurzeln liegen im russischen Bürgerkrieg nach der
Oktoberrevolution.
«1. Russische Nationalarmee
der Deutschen Wehrmacht»?
Der für die «Weissen» gegenüber Lenins, Trotzkis und
Stalins Kommunisten verlorene russische Bürgerkrieg
nach der Revolution von 1917 veranlasste Hunderttau-
sende Russen zur Emigration. In Warschau, Berlin oder
Paris hofften sie auf den Fall des stalinistischen Regimes
in ihrer Heimat. Viele organisierten sich mit diesem Ziel.
Ein solcher Emigrant war Graf Boris Smyslowsky (1897—
1988), ehemals junger zaristischer Offizier, im Bürger-
krieg auf der Seite der Weissen.
Smyslowsky bildete sich in Deutschland weiter, liess
sich von der «Abwehr», dem deutschen militárischen
Auslandgeheimdienst, anwerben, absolvierte die ge-
heime deutsche Kriegsakademie, wurde erfolgreicher
Gescháftsmann in Warschau. Er war in der «Russischen
Allgemeinen Militár-Vereinigung im Exil» (ROWS) ak-
tiv. Diese wartete darauf, den Bürgerkrieg gegen das So-
wjetregime wieder aufzunehmen. In Warschau wurde
Smyslowsky Stabschef der über 6000 Mann zählenden
ROWS-«Ostabteilung».
Nachdem Hitlerdeutschland im Juni 1941 den
Nichtangriffspakt-Partner Sowjetunion angriff, gerieten
in der Folge über fünf Millionen Soldaten der Roten Ar-
mee in deutsche Kriegsgefangenschaft. Smyslowsky
stellte im Rahmen der Deutschen Wehrmacht eine
Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 116, 2017
Truppe von Russen gegen Stalin zusammen. Sie bestand
bei den führenden Offizieren aus älteren Emigranten und
aus Deserteuren der Roten Armee, bei der Mannschaft
aus Kriegsgefangenen, welche so den Weg aus der Hun-
gerhôlle der deutschen Lager wählten, sowie aus zwangs-
verpflichteten «Ostarbeitern> oder auch flüchtenden anti-
kommunistischen Partisanen — wie Salamaj und Bury.
Smyslowskys Truppe wurde zur Frontaufklärung
und zur Bekämpfung sowjetischer Partisanen ausgebil-
det und eingesetzt. Die russischsprachigen Aufklärer
Holmstons wurden per Flugzeug mit Fallschirm und
Radiogerät über die Front hinweg im Sowjetbereich ab-
gesetzt, um Truppenstandorte, Waffen und Bewegungen
zurückzumelden.
Smyslowskys Spezialarmee war ein kleineres Pendant
zur Wlassow-Armee. Unter Schwierigkeiten und wech-
selnden Bezeichnungen wuchs sie bis 1944 auf rund
6000 Mann an. Ihre Bezeichnung wechselte: 1943 hiess sie
«Sonderdivision R», 1944/45 «Einheit z.b. V.» und
«Grüne Armee», ab dem 4. April 1945 schliesslich «1. Rus-
sische Nationalarmee der Deutschen Wehrmacht». Befeh-
ligt war die Armee von Boris Smyslowsky, der sich den
Decknamen «von Regenau», 1945 dann bleibend den Na-
men «Arthur Holmston» zulegte. Holmston, 48 Jahre alt,
wurde noch im April 1945 zum deutschen Generalmajor
befördert, dies war der niedrigste Generalsrang.
Von August 1944 bis Januar 1945 lag Holmstons
Truppe in Schlesien, sie war im weiteren Aufbau begrif-
fen. Von Februar bis April 1945, als die Rote Armee rasch
vorrückte, stand Holmstons Armee in Karlsbad im tsche-
chischen «Protektorat» sowie in Ostdeutschland in
Markneukirchen, Elster und Eschenbach. Spätestens
hier, vermutlich aber schon in der zweiten Januarhálfte
noch in der Gegend um Warschau, dürften die zwei uk-
rainisch-polnischen Dolmetscher Salamaj und Bury zur
Holmston-Truppe gestossen sein.
Ab dem 18. April zog Holmston in grósster Eile mit
dem Rest seiner Armee nach Süden. Die zurückgebliebe-
nen, grósseren Teile von Holmstons Armee wurden
aufgerieben oder gefangen genommen. Die Flucht führte
vorbei an Nürnberg, über Landshut — dort schloss sich
die «Gruppe Simon» von Wien her kommend an -,
19 PaulSalamay: Généalogie (Ms.), S. 259.
20 Siehe Geiger /Schlapp sowie Vogelsang.
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