Volltext: Jahrbuch (2017) (116)

Fortführung des Krieges gegen Stalin? 
Wie der Vater viel später einmal dem Sohn anver- 
traute, habe man im Februar 1945 nach dem Treffen von 
Jalta, bei dem die Alliierten vereinbart hatten, alle Flücht- 
linge und Gefangenen in die Herkunftsländer zurückzu- 
führen, begriffen, dass man definitiv verloren habe. Doch 
hätten damals die nach Unabhängigkeit strebenden Uk- 
rainer noch gedacht, die Amerikaner würden, nachdem 
sich Hitler ergäbe, dann zusammen mit den verbleiben- 
den deutschen Kräften gegen die Sowjetunion kämpfen. 
Solch restliche Hoffnung hegten in jenen Wochen des Feb- 
ruar und März auch Salamaj und Kollegen immer noch.‘ 
Es war auch Holmstons Hoffnung. Sie schwand schnell. 
Josef Salamajs Leben hing nun vom Schicksal der 
Holmston-Armee ab. Was war dies für eine Truppe? Die 
Wurzeln liegen im russischen Bürgerkrieg nach der 
Oktoberrevolution. 
«1. Russische Nationalarmee 
der Deutschen Wehrmacht»? 
Der für die «Weissen» gegenüber Lenins, Trotzkis und 
Stalins Kommunisten verlorene russische Bürgerkrieg 
nach der Revolution von 1917 veranlasste Hunderttau- 
sende Russen zur Emigration. In Warschau, Berlin oder 
Paris hofften sie auf den Fall des stalinistischen Regimes 
in ihrer Heimat. Viele organisierten sich mit diesem Ziel. 
Ein solcher Emigrant war Graf Boris Smyslowsky (1897— 
1988), ehemals junger zaristischer Offizier, im Bürger- 
krieg auf der Seite der Weissen. 
Smyslowsky bildete sich in Deutschland weiter, liess 
sich von der «Abwehr», dem deutschen militárischen 
Auslandgeheimdienst, anwerben, absolvierte die ge- 
heime deutsche Kriegsakademie, wurde erfolgreicher 
Gescháftsmann in Warschau. Er war in der «Russischen 
Allgemeinen Militár-Vereinigung im Exil» (ROWS) ak- 
tiv. Diese wartete darauf, den Bürgerkrieg gegen das So- 
wjetregime wieder aufzunehmen. In Warschau wurde 
Smyslowsky Stabschef der über 6000 Mann zählenden 
ROWS-«Ostabteilung». 
Nachdem Hitlerdeutschland im Juni 1941 den 
Nichtangriffspakt-Partner Sowjetunion angriff, gerieten 
in der Folge über fünf Millionen Soldaten der Roten Ar- 
mee in deutsche Kriegsgefangenschaft. Smyslowsky 
stellte im Rahmen der Deutschen Wehrmacht eine 
Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 116, 2017 
Truppe von Russen gegen Stalin zusammen. Sie bestand 
bei den führenden Offizieren aus älteren Emigranten und 
aus Deserteuren der Roten Armee, bei der Mannschaft 
aus Kriegsgefangenen, welche so den Weg aus der Hun- 
gerhôlle der deutschen Lager wählten, sowie aus zwangs- 
verpflichteten «Ostarbeitern> oder auch flüchtenden anti- 
kommunistischen Partisanen — wie Salamaj und Bury. 
Smyslowskys Truppe wurde zur Frontaufklärung 
und zur Bekämpfung sowjetischer Partisanen ausgebil- 
det und eingesetzt. Die russischsprachigen Aufklärer 
Holmstons wurden per Flugzeug mit Fallschirm und 
Radiogerät über die Front hinweg im Sowjetbereich ab- 
gesetzt, um Truppenstandorte, Waffen und Bewegungen 
zurückzumelden. 
Smyslowskys Spezialarmee war ein kleineres Pendant 
zur Wlassow-Armee. Unter Schwierigkeiten und wech- 
selnden Bezeichnungen wuchs sie bis 1944 auf rund 
6000 Mann an. Ihre Bezeichnung wechselte: 1943 hiess sie 
«Sonderdivision R», 1944/45 «Einheit z.b. V.» und 
«Grüne Armee», ab dem 4. April 1945 schliesslich «1. Rus- 
sische Nationalarmee der Deutschen Wehrmacht». Befeh- 
ligt war die Armee von Boris Smyslowsky, der sich den 
Decknamen «von Regenau», 1945 dann bleibend den Na- 
men «Arthur Holmston» zulegte. Holmston, 48 Jahre alt, 
wurde noch im April 1945 zum deutschen Generalmajor 
befördert, dies war der niedrigste Generalsrang. 
Von August 1944 bis Januar 1945 lag Holmstons 
Truppe in Schlesien, sie war im weiteren Aufbau begrif- 
fen. Von Februar bis April 1945, als die Rote Armee rasch 
vorrückte, stand Holmstons Armee in Karlsbad im tsche- 
chischen «Protektorat» sowie in Ostdeutschland in 
Markneukirchen, Elster und Eschenbach. Spätestens 
hier, vermutlich aber schon in der zweiten Januarhálfte 
noch in der Gegend um Warschau, dürften die zwei uk- 
rainisch-polnischen Dolmetscher Salamaj und Bury zur 
Holmston-Truppe gestossen sein. 
Ab dem 18. April zog Holmston in grósster Eile mit 
dem Rest seiner Armee nach Süden. Die zurückgebliebe- 
nen, grósseren Teile von Holmstons Armee wurden 
aufgerieben oder gefangen genommen. Die Flucht führte 
vorbei an Nürnberg, über Landshut — dort schloss sich 
die «Gruppe Simon» von Wien her kommend an -, 
19  PaulSalamay: Généalogie (Ms.), S. 259. 
20 Siehe Geiger /Schlapp sowie Vogelsang. 
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