Volltext: Jahrbuch (2017) (116)

Einleitung 
Ein Mann aus Turin, der sich im frühen 19. Jahrhundert 
in Liechtenstein einbürgern liess, fällt grundsätzlich auf. 
Neben Johann Felix Real aus Gressoney, der 1867 das 
volle Bürgerrecht der Gemeinde Vaduz erlangte, war 
Karl Bello aus Turin im 19. Jahrhundert wohl der einzige 
Mann, der aus dem damaligen Königreich Sardinien- 
Piemont stammte und im Fürstentum eingebürgert 
wurde.! Beiden war gemeinsam, dass sie in Liechtenstein 
Ehefrauen fanden, und dass sie im Handelsgewerbe tä- 
tig waren.? 
Damit enden aber die Gemeinsamkeiten zwischen 
Real und Bello. Wáhrenddem Johann Felix Real als rela- 
tiv vermógende sowie angesehene Person in Vaduz bis 
zum Bürgermeister aufstieg, geriet Karl Bello wiederholt 
mit dem Gesetz in Konflikt. Im Liechtensteinischen 
Landesarchiv in Vaduz befindet sich ein umfangreicher 
Bestand mit Kriminalakten zu Karl Bello. Diese Akten 
datieren zu einem grossen Teil aus den Jahren 1822 und 
1823. Sie bilden, bislang von der Forschung unbeachtet, 
die Grundlage für diesen Beitrag.? 
Es zeigt sich, dass Karl Bello wohl die meiste Zeit sei- 
nes Lebens nicht sesshaft war. Im Vergleich zum Beitrag 
im vorhergehenden Jahrbuch über Heimatlose und Fah- 
rende im 19. Jahrhundert! muss jedoch klar festgehalten 
werden: Anders als die dort vorgestellten mittellosen 
Menschen, die sich — aus ihrer Notlage heraus — in der 
Regel nur kleinere Delikte zuschulden kommen liessen, 
war Karl Bello eindeutig kriminell. Durch seine notori- 
schen Diebstähle und Einbrüche fügte er anderen Men- 
schen grossen Schaden zu. Wir wissen indes nicht, aus 
welchen Gründen Karl Bello in dieses Fahrwasser gera- 
ten ist. 
Zu Beginn des Jahres 1820 hatte Karl Bello in Nendeln 
(in der Gemeinde Eschen) ein Haus gekauft und die aus 
Schellenberg stammende Elisabeth Ender geheiratet. 
Karl Bello war im selben Jahr auf sein Ansuchen hin in 
Eschen eingebürgert worden, mitsamt den vollen Nut- 
zungsrechten in der Gemeinde. Seine Frau erwartete ein 
Kind von ihm. In diese Ehe brachte Karl Bello die aus ei- 
ner früheren Beziehung stammende Tochter Franziska 
mit ein, die ebenfalls in Eschen eingebürgert wurde.” Mit 
grosser Wahrscheinlichkeit wussten die Behörden in 
Liechtenstein (und in Eschen) zu diesem Zeitpunkt noch 
nichts von Karl Bellos krimineller Vergangenheit. 
Die in Feldkirch unter Arrest stehende Katharina 
Unold, die vor 1820 mit Karl Bello zwei Kinder gezeugt 
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hatte, konfrontierte ab 1822 den Handelsmann aus Turin 
mit seiner Vergangenheit. Katharina Unold machte ihre 
ersten überlieferten Aussagen dazu auf dem Zivil- und 
Kriminalgericht für Vorarlberg in Feldkirch: Karl Bello 
sei nicht nur der Vater dieser zwei unehelichen Kinder, 
er sei darüber hinaus ein Beutelschneider, ein berüchtig- 
ter Marktdieb. Tatsáchlich war — wie es sich zeigen 
sollte — Karl Bello wegen diverser Diebstáhle vorbestraft. 
Er konnte jedoch mehrmals aus der Gefangenschaft ent- 
weichen.^ 
Der heute nicht mehr gebräuchliche Begriff «Beutel- 
schneider» bezeichnet nicht etwa einen Hersteller von 
Lederbeuteln, sondern einen Dieb, der auf raffinierte 
Weise den Leuten die Taschen leerte. Es gibt im Liech- 
tensteinischen Landesarchiv weitere Akten, die auf 
eine grössere Bande an Beutelschneidern verweisen, 
die regional und überregional tätig war. So heisst es in 
einer gedruckten Bekanntmachung des erwähnten 
Zivil- und Kriminalgerichts Feldkirch vom 12. Novem- 
ber 1821: 
«Es liegen gegenwärtig einige Glieder einer sehr ausge- 
dehnten über 20 Köpfe zählenden jüdischen Jauner-Rotte 
bei dem allhiesigen Kriminalgerichte ein, welche seit 12 bis 
15 Jahren in kleineren Abtheilungen die Jahr- und 
Viehmärkte von ganz Deutschland und der Schweiz, und 
vorzüglich auch die vorarlbergischen Herbstmärkte zu 
Bregenz, Schwarzenberg, Dornbirn, Rankweil, Feldkirch, 
Bludenz und Schruns zu besuchen pflegten, und deren 
schändliches Gewerbe einzig im Beutelschneiden oder Ta- 
schen-Geld-Diebstühlen bestund.»? 
Der heute ebenfalls kaum noch verwendete Begriff «Jau- 
ner» bezeichnet nicht-sesshafte Menschen, die ihren 
Lebensunterhalt durch gewerbsmässigen Raub und 
Diebstahl bestritten.? Es bestand der Verdacht, dass Karl 
Bello ebenfalls zu diesen «Jaunern» (auch: «Gaunern») 
zählte. Obwohl er vermutlich nicht einer grösseren 
Bande angehörte, hatte er bei seinen Raubzügen oft 
Komplizen.? Bello verübte offenbar keine Beutelschnei- 
dereien in Liechtenstein selbst, doch Diebstáhle bildeten 
im frühen 19. Jahrhundert auch im Fürstentum den 
Hauptteil der begangenen Straftaten." In diese Kategorie 
gehóren auch kleinere Delikte wie «Holzfrevel» (Holz- 
diebstáhle), die — wie bereits angedeutet — von mittel- 
losen Menschen meist aus ihrer persónlichen Notsitua- 
tion heraus begangen wurden. 
Biedermann Klaus: Ein Beutelschneider aus Turin wird Liechtensteiner
	        

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