In normalen Zeiten war der Schmuggel (sogennante
«Schwärzungen») nicht von Bedeutung, in den Akten
des Oberamts kommt er kaum vor. In der Hungersnot
1816/17 sind aber vereinzelte Schmuggelfälle belegt: Ja-
kob Oehri aus Ruggell, der selber auch als Grenzwächter
tätig war, versuchte nach eigenen Angaben «höchstens
sechs Mässle Grundbirnen» in die Schweiz zu schmug-
geln. Dafür wurde er am 29. März zu einer Fiskalstrafe
von 6 Gulden verurteilt. Weil er aber auch den Grenzzol-
ler umgestossen hatte, wurde er zusätzlich zu einem
dreiwöchigen Arrest verurteilt. Der Ruggeller Vorsteher
erreichte eine Umwandlung der Gefängnisstrafe in eine
Geldstrafe von 21 Gulden, da Oehri einen kranken Vater
hatte und zu Hause unabkömmlich war.”
Franz Josef Oehri aus Mauren (30 Jahre, verheiratet,
fünf Kinder) wollte am 2. April 1817 bei der Burgerauer
Schifffahrt drei Säcke Türken und einen Sack Fesen nach
Sevelen schmuggeln. Das Schmuggelgut versteckte er in
einem Heuwagen. Oehri wurde von Johann Tschetter
von Schaan erwischt, der ihm die Ware abnahm und
dem Amt übergab. Als Belohnung erhielt Tschetter einen
Drittel des Werts der konfiszierten Ware. Oehri gab an,
dass im Land niemand bereit gewesen sei, den geforder-
ten Preis zu bezahlen.'? Er handelte aus Gewinnsucht.
Zunahme der saisonalen Auswanderung
Die definitive Auswanderung aus Liechtenstein war
dem Grundsatz nach bis 1848 verboten: Jede Auswande-
rung musste vom Oberamt bewilligt werden; um eine
Bewilligung zu erhalten, musste eine Vermógensabgabe
(«Abzugsgeld») bezahlt werden.’ In der Praxis wander-
ten vor allem heiratswillige Personen aus, Leute, die in
ein Kloster gehen wollten und Ménner, die in den Sold-
dienst gehen wollten.
Aus benachbarten Gegenden (Süddeutschland, Ost-
schweiz) ist bekannt, dass die Hungersnot von 1816/17
eine Auswanderungswelle auslöste, wobei die Obrigkeit
die Auswanderung oft erleichterte.!? In den liechtenstei-
nischen Quellen findet sich keine Hinweis auf vermehrte
definitive Auswanderungen.
Stark zugenommen hat hingegen die saisonale Aus-
wanderung. Personen, die vorübergehend im Ausland
ihren Lebensunterhalt verdienen wollten, stellte das
Oberamt in Vaduz einen Reisepass aus. Es führte dazu ein
Reisepassverzeichnis,'® in dem die Namen der Auswan-
derer und der Auswanderungszweck festgehalten wur-
den. 1815 wurden fiir 426 Personen und 1817 fiir 735 Per-
sonen Reisepässe ausgestellt (Grafik 6).'“ Die Zahl der
Grafik 6: Anzahl der vom Oberamt ausgestellten Reisepässe
800
700
600
500
400:
300.
200
100.
"IS "Isle " [817 "l8i8 "Te]o 1800
= Personen über 16. — Kinder und Jugendliche bis 16
Grafik 7: Anzahl Reisepasse fiir Knaben und Madchen
300
250
200
150
100
20...
els 1816. 1817 1818 1810 1820
—Knaben — Mädchen
26
Vogt Paul: Hungerjahre in Liechtenstein