Volltext: Jahrbuch (2017) (116)

und ihr volkskundliches Wissen in plastischen Darstel- 
lungen wiedergeben. Im Ganzen darf man «Guten- 
berg-Schalun» als gelungenes Erstlingswerk bezeichnen. 
Doch schon mit dem Verleger Hermann Fiebig in Chur 
hatte sie manchen Ärger, bis der Roman endlich im Jahr 
1897 im Druck erschien. Der Buchumschlag, für den Fer- 
dinand Nigg einen hübschen Entwurf gemacht hatte, 
wurde vom Verleger eigenmächtig abgeändert und da- 
bei völlig verpfuscht. Dazu plagte sie die Sorge, sich in 
ein finanzielles Abenteuer gestürzt zu haben. Doch fielen 
die Kritiken meist recht lobend und zustimmend aus. 
Weniger wohlwollende Besprechungen fasste sie jedoch 
als persönliche Anfeindungen auf und litt darunter sehr. 
Überhaupt macht sich in Hermine Rheinbergers Brie- 
fen der 1890er-Jahre ein gewisser Pessimismus bemerk- 
bar, manchmal deutet sie auch dunkle Ahnungen an. Im 
Frühjahr 1898 fiel sie dann in geistige Umnachtung. Sie 
bot das Bild einer katatonen Schizophrenie. 
Doch, war es dies wirklich? Wie immer in solchen Fàl- 
len, suchte man nach Erklärungen, nach Gründen. So 
schrieb ihre Schwester Emma im Jahre 1903 in einem 
Brief an Alois Rheinberger in Amerika: 
«Unsere geliebte älteste Schwester Hermine wurde 
plötzlich Geistes krank, unser Todesschrecken darüber lässt 
sich nicht schildern. Sie, die so intelligente, geistreiche, im- 
mer fröhliche von dieser Krankheit heimgesucht! Sie war 
besonders in der Schriftstellerei begabt und hatte auf drin- 
gendes Ersuchen ein Buch «Gutenberg-Schalun> veröffent- 
licht, worüber sie allgemeine Freude erntete, bis an eine für 
sie ungünstige Kritik, welche sie so ernst, tief und schwer 
aufnahm, dass sie nicht mehr zu trösten war ... Dazu kam 
noch, dass sie in die Hände eines ungeeigneten, egoistischen 
Verlegers geriet, welcher ihr immer wieder vorgab, das 
Buch hätte keinen Absatz etc., so dass ihr Geist in wenigen 
Wochen umnachtet war ...».”° 
Eine andere Erklärung hörte ich aus den Erzählungen 
meines Vaters Egon Rheinberger. Danach hatte Hermine 
die «Gartenlaube», eine damals beliebte Zeitschrift, 
abonniert. Als sie den Rat ihres Beichtvaters, das Abon- 
nement aufzulösen, nicht befolgte, habe er ihr die Abso- 
lution verweigert und von da an sei die geistige Verän- 
derung eingetreten. 
Nun sind das Erklärungsversuche, die unzureichend 
sind. Sie deuten höchstens das eine oder andere Aus- 
lösungsmoment der Krankheit an, aber nicht die Ursa- 
Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 116, 2017 
che. Hier könnte eine Briefstelle Aufschluss geben, die 
ich vor einigen Jahren gefunden und notiert hatte. In die- 
sem Brief wird beschrieben, wie Hermine, bevor sie geis- 
teskrank wurde, eine starke Kopfgrippe hatte, während 
der sie tagelang schlief und auch durch Nadelstiche 
nicht zu wecken gewesen sei. Anschliessend seien dann 
die geistigen Veränderungen dagewesen. Diese Schilde- 
rung spricht für den Ablauf einer Grippe Encephalitis, 
deren Residuen ja sehr vielseitig sein können. Doch las- 
sen Hermines Äusserungen, die sie in verschiedenen 
Briefen und über längere Zeit gemacht hat, eher an eine 
Schizophrenie als an die Folgen einer durch Encephalitis 
entstandenen organischen Hirnveränderung denken. 
In den Jahren zwischen 1892 und 1897, als Hermines 
Schwester Olga bei ihrem Onkel in München weilte, un- 
terhielt sie mit dieser einen ständigen Briefverkehr und 
in diesen Briefen vertraute sie sich ihrer Schwester gele- 
gentlich an. Hier sollen einige Briefstellen zitiert werden, 
die doch auffällig sind: 
— 1894: «Ohne die Bücher und Spaziergänge würde ich 
melancholisch. Doch, Kopf in die Höhe ... guter Mut 
und frische Hoffnung tragen die Menschen über 
pfadlose, dunkle Lebenswege ...». 
— 1895: «... Mir geht es besser, die Hauptkrankeit war 
ein entsetzlicher moralischer Katzenjammer und see- 
lische Schmerzen, die stürmen stets mit wuchtiger 
Gewalt über mich herein und zerschlagen mich förm- 
lich ...». 
— 1896: «Bitte, bitte, nimm Dir meine Zeilen nicht so 
sehr zu Herzen und mache Dir keine Sorgen, ich habe 
oft so schwarze Gedanken.» 
— 1897: «Ich musste auch meine Ansichten áussern und 
dann kam mir meine Stimme ganz fremd vor. Darü- 
ber bin ich ordentlich erschrocken. 
— 1898, 20. Januar an Ferdinand Nigg: «... Siehst Du, zu 
Dir darf ich es ganz offen aussprechen, wie geistig 
elend ich oft darniederliege.»?7 
222 Vaduzer Familienchronik 2002, Bd. IV, S. 162. 
228 LILA AFRh M 1-3. 
224 Vaduzer Familienchronik 2002, Bd. IV, S. 168. 
225 Jansen/Schurti, Nach Amerika 1998, hier insbesondere Bd. II, 
S. 175-187: Alois Rheinberger — ein Weinbaupionier in Illinois. 
226 LI LA AFRh Ha 18: Brief von Emma Rheinberger an Alois Rhein- 
berger, 1903. 
227 LILA AFRh O, Korrespondenz. 
179
	        

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