rung gegen Zwangsausweisung, desgleichen der Bischof
von Chur, Christianus Caminada, und das Rote Kreuz.
Keine Zwangsauslieferung
Der Turnhallen-Zusammenzug misslang. Die Sowjet-
kommission jedoch beharrte. Nun beschlossen die neue
Regierung Frick-Nigg und der Landtag am 3. September
1945, dass niemand zwangsrepatriiert würde, dass die
Internierten aber in drei Lager getrennt würden: Nichtso-
wjetbürger, als «Emigranten» bezeichnet, konnten im
Lager Ruggell bleiben; die Sowjetbürger wurden in die
Turnhalle in Vaduz verlegt, diese wurde zum Lager um-
gestaltet; und ein gutes Dutzend «renitente Russen» ka-
men ins Gefángnis in Vaduz, dort blieben sie bis Mitte
November. Salamaj und Bury blieben in Ruggell, Sinski
kam in die Vaduzer Turnhalle.
Von den noch in Liechtenstein verbliebenen 263 Inter-
nierten liessen sich im Zug der geschilderten Interventio-
nen der Sowjetkommission schliesslich im August und
September 1945 zusammen 104 Russen zur freiwilligen
Heimkehr bewegen. Sie wurden per Autobus nach
Buchs, von dort per Bahn nach St. Margrethen geführt,
hier schweizerischen Russentransporten angeschlossen,
nach Vorarlberg in die franzósische Besatzungszone und
weiter in die Sowjetunion verfrachtet, wo sie zwar nicht
erschossen wurden — wie man in Liechtenstein ein halbes
Jahrhundert lang meinte. Aber nach Verhóren in «Filtra-
tionslagern» verschwanden die meisten im Gulag, so wie
die zuvor schon Ausgereisten.
Polnische Ukrainer
Josef Salamaj war polnischer Staatsbürger, also nicht
Bürger der Sowjetunion. Allerdings war er ethnischer
Ukrainer. Zwar war Polen 1945 befreit und wieder ein
selbstándiger Staat. Aber die Kommunisten erhielten die
Macht, gefórdert und kontrolliert von Stalin. Josef Sala-
maj war zusammen mit seinem Bruder Vladimir in der
ukrainischen Unabhàngigkeitsbewegung OUN und in
deren militarischem Arm UPA tétig gewesen, gegen die
Kommunisten und gegen die Polnische Heimatarmee
«Armia Krajowa». Sich angesichts dieser Zusammen-
hánge repatriieren zu lassen, ware ihm selbstmérderisch
erschienen.
Immerhin konnte er zusammen mit andern internier-
ten polnischen Ukrainern im Herbst 1945 feststellen,
Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 116, 2017
dass die Sowjetdelegation sich an ihnen nicht interessiert
zeigte.
Am 7. September 1945 hatten die Internierten einen
kurzen «Lebenslauf» zuhanden der liechtensteinischen
Polizei zu verfassen. Hier taucht «Salamaj Josef» erst-
mals mit dem echten Namen in den Internierten-Akten
auf. Seine Angaben enthalten: Geburtsdatum, absol-
vierte Schulen, Beruf «Student», von den deutschen
Truppen erzwungene Flucht vor der sowjetischen Offen-
sive, Internierung im Lager Ebenfurth nahe Wien, Nah-
rungsmangel, Rekrutierung und Dienst als Dolmetscher
in der Wehrmacht ab dem 16. Januar 1945, Grenzüber-
tritt in der Holmston-Armee am 2./3. Mai 1945 nach
Liechtenstein.”
Von Interesse ist auch der gleichentags verfasste «Le-
benslauf» von Salamajs Kollegen Peter Bury (Buryj) und
Michael Sinski. Peter Bury, 1925 in der Nähe von Jaroslaw
geboren, war Schul-, Studien-, Flucht- und Dolmetscher-
kollege von Josef Salamaj. Er war ein Jahr jünger, besuchte
dieselben Handelsschulen wie Josef und legte wie dieser
die Handelsmatura ab. Nun war er ebenfalls «Student».??
Michael Sinski, geboren 1919, stammte aus Loszniow
im Kreis Tarnopol (heute Ternopil), óstlich von Lemberg
in Ostgalizien, es war Teil Polens, 1939-1941 sowjetisch
besetzt, 1941-1944 deutsch besetzt, danach sowjetisch,
heute ist es Teil der Ukraine. Sinski übernahm nach Ab-
schluss der Volks- und Realschule den Landwirtschafts-
betrieb der Familie, da der Vater starb. Im Mai 1943
wurde er als «Ostarbeiter» nach Deutschland deportiert,
wo er Zwangsarbeit in Elektroreparaturwerkstátten leis-
tete — daher gab er dann in Liechtenstein als Beruf neben
«Landwirt» auch «Elektriker» an. Im September 1944
wurde er von seiner Zwangsarbeitsstelle in Deutschland
weg als Wehrmacht-Dolmetscher zu Holmstons Truppe
verpflichtet.?!
Alle drei, Sinski, Salamaj und Bury, waren ukraini-
scher Ethnie und griechisch-katholischer Konfession. Alle
drei waren der Holmston-Truppe als Wehrmacht-Dol-
metscher zugewiesen worden. Sie waren Freunde.
29 «Lebenslauf» von Josef Salamaj, 7. September 1945, LI LA RF
230/043 s/38.
30 «Lebenslauf» von Peter Buryj, 7. September 1945, LI LA RF
230/043 s/39.
31 «Lebenslauf» von Michael Sinski, 7. September 1945, LILA RF
230/043 s/.
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