Volltext: Jahrbuch (2017) (116)

rung gegen Zwangsausweisung, desgleichen der Bischof 
von Chur, Christianus Caminada, und das Rote Kreuz. 
Keine Zwangsauslieferung 
Der Turnhallen-Zusammenzug misslang. Die Sowjet- 
kommission jedoch beharrte. Nun beschlossen die neue 
Regierung Frick-Nigg und der Landtag am 3. September 
1945, dass niemand zwangsrepatriiert würde, dass die 
Internierten aber in drei Lager getrennt würden: Nichtso- 
wjetbürger, als «Emigranten» bezeichnet, konnten im 
Lager Ruggell bleiben; die Sowjetbürger wurden in die 
Turnhalle in Vaduz verlegt, diese wurde zum Lager um- 
gestaltet; und ein gutes Dutzend «renitente Russen» ka- 
men ins Gefángnis in Vaduz, dort blieben sie bis Mitte 
November. Salamaj und Bury blieben in Ruggell, Sinski 
kam in die Vaduzer Turnhalle. 
Von den noch in Liechtenstein verbliebenen 263 Inter- 
nierten liessen sich im Zug der geschilderten Interventio- 
nen der Sowjetkommission schliesslich im August und 
September 1945 zusammen 104 Russen zur freiwilligen 
Heimkehr bewegen. Sie wurden per Autobus nach 
Buchs, von dort per Bahn nach St. Margrethen geführt, 
hier schweizerischen Russentransporten angeschlossen, 
nach Vorarlberg in die franzósische Besatzungszone und 
weiter in die Sowjetunion verfrachtet, wo sie zwar nicht 
erschossen wurden — wie man in Liechtenstein ein halbes 
Jahrhundert lang meinte. Aber nach Verhóren in «Filtra- 
tionslagern» verschwanden die meisten im Gulag, so wie 
die zuvor schon Ausgereisten. 
Polnische Ukrainer 
Josef Salamaj war polnischer Staatsbürger, also nicht 
Bürger der Sowjetunion. Allerdings war er ethnischer 
Ukrainer. Zwar war Polen 1945 befreit und wieder ein 
selbstándiger Staat. Aber die Kommunisten erhielten die 
Macht, gefórdert und kontrolliert von Stalin. Josef Sala- 
maj war zusammen mit seinem Bruder Vladimir in der 
ukrainischen Unabhàngigkeitsbewegung OUN und in 
deren militarischem Arm UPA tétig gewesen, gegen die 
Kommunisten und gegen die Polnische Heimatarmee 
«Armia Krajowa». Sich angesichts dieser Zusammen- 
hánge repatriieren zu lassen, ware ihm selbstmérderisch 
erschienen. 
Immerhin konnte er zusammen mit andern internier- 
ten polnischen Ukrainern im Herbst 1945 feststellen, 
Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 116, 2017 
dass die Sowjetdelegation sich an ihnen nicht interessiert 
zeigte. 
Am 7. September 1945 hatten die Internierten einen 
kurzen «Lebenslauf» zuhanden der liechtensteinischen 
Polizei zu verfassen. Hier taucht «Salamaj Josef» erst- 
mals mit dem echten Namen in den Internierten-Akten 
auf. Seine Angaben enthalten: Geburtsdatum, absol- 
vierte Schulen, Beruf «Student», von den deutschen 
Truppen erzwungene Flucht vor der sowjetischen Offen- 
sive, Internierung im Lager Ebenfurth nahe Wien, Nah- 
rungsmangel, Rekrutierung und Dienst als Dolmetscher 
in der Wehrmacht ab dem 16. Januar 1945, Grenzüber- 
tritt in der Holmston-Armee am 2./3. Mai 1945 nach 
Liechtenstein.” 
Von Interesse ist auch der gleichentags verfasste «Le- 
benslauf» von Salamajs Kollegen Peter Bury (Buryj) und 
Michael Sinski. Peter Bury, 1925 in der Nähe von Jaroslaw 
geboren, war Schul-, Studien-, Flucht- und Dolmetscher- 
kollege von Josef Salamaj. Er war ein Jahr jünger, besuchte 
dieselben Handelsschulen wie Josef und legte wie dieser 
die Handelsmatura ab. Nun war er ebenfalls «Student».?? 
Michael Sinski, geboren 1919, stammte aus Loszniow 
im Kreis Tarnopol (heute Ternopil), óstlich von Lemberg 
in Ostgalizien, es war Teil Polens, 1939-1941 sowjetisch 
besetzt, 1941-1944 deutsch besetzt, danach sowjetisch, 
heute ist es Teil der Ukraine. Sinski übernahm nach Ab- 
schluss der Volks- und Realschule den Landwirtschafts- 
betrieb der Familie, da der Vater starb. Im Mai 1943 
wurde er als «Ostarbeiter» nach Deutschland deportiert, 
wo er Zwangsarbeit in Elektroreparaturwerkstátten leis- 
tete — daher gab er dann in Liechtenstein als Beruf neben 
«Landwirt» auch «Elektriker» an. Im September 1944 
wurde er von seiner Zwangsarbeitsstelle in Deutschland 
weg als Wehrmacht-Dolmetscher zu Holmstons Truppe 
verpflichtet.?! 
Alle drei, Sinski, Salamaj und Bury, waren ukraini- 
scher Ethnie und griechisch-katholischer Konfession. Alle 
drei waren der Holmston-Truppe als Wehrmacht-Dol- 
metscher zugewiesen worden. Sie waren Freunde. 
29 «Lebenslauf» von Josef Salamaj, 7. September 1945, LI LA RF 
230/043 s/38. 
30 «Lebenslauf» von Peter Buryj, 7. September 1945, LI LA RF 
230/043 s/39. 
31 «Lebenslauf» von Michael Sinski, 7. September 1945, LILA RF 
230/043 s/. 
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