101 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 113,
2014
hatten. Allein der diesen Gemeinden erwachsende Vorteil würde mehr als aufgewogen durch die erheblichen Nachteile, welche die projektierte Linie den Schweizerischen Bundesbahnen bringen würde. Wir kommen daher auf unseren Antrag vom 16. April 1907 zurück und empfehlen Ihnen, auf das Konzessionsgesuch nicht einzutreten».32 Wurde Bundesrat Josef Zemp genötigt? Es steht ausser Zweifel: Der Chef des Eidgenössischen Post- und Eisenbahndepartements, Bundesrat Josef Zemp (katholisch-konservativ), der erste Mann in der Landes- regierung, der nicht dem Freisinn angehörte, wurde of- fensichtlich derart hart bedrängt, dass er schliesslich ka- pitulierte und die Parlaments-Vorlage überarbeiten liess. Das ist deshalb bemerkenswert, weil der im Volk popu- läre Josef Zemp als Wegbereiter der Eisenbahn-Verstaat- lichung (SBB) gilt. Die Sache setzte ihm gesundheitlich zu. Am 17. Juni 1908 trat er zurück, am 8. Dezember 1908 starb Josef Zemp, 74-jährig, in Bern. Der Historiker Urs Altermatt würdigt ihn als «eine Symbolfigur für die politische Integration und Gleich- berechtigung». Zeitgenössische Stimmen attestierten ihm «Charaktereigenschaften wie Loyalität, Geradli- nigkeit und Durchsetzungswillen», womit er grosse «überparteiliche Anerkennung genoss».33 Sein Platz im Eidgenössischen Post- und Eisenbahndepartement wurde im August 1908 vom Zürcher Ludwig Forrer (FDP) eingenommen. Kampf gegen die Monopolbestrebungen der SBB Erstaunt über die bundesrätliche Kehrtwende und verär- gert über die Monopolisten bei den SBB und im Eisen- bahndepartement zeigte sich Südostbahn-Direktor Al- fred Laube. Das reisende Publikum wisse «sehr gut den Unterschied in den Betriebseinrichtungen einer Haupt- bahn grossen Stils wie die Schweizerischen Bundesbah- nen daselbst und einer blossen tramartigen elektrischen Schmalspurbahn herauszufinden». Letztere diene dem Lokalverkehr und werde mithelfen, «das Ländchen Liechtenstein aufs engste mit der Schweiz zu verknüp-fen.»34
Laube machte in einem weiteren, auf der Front- Seite der «Neuen Zürcher Zeitung» («NZZ») platzierten Artikel aufmerksam auf entscheidende Differenzen zwi- schen den beiden Bahnlinien: Von einer echten Konkurrenz zur SBB könne keine Rede sein. Der Reisende ziehe es ohnehin vor, «den ‹Normalbahnzug› zu benützen für so lange als es über- haupt geht». Komme hinzu, dass der Durchschnittsrei- sende den Komfort und «die äusserst ruhig laufenden Wagen der Bundesbahn» stets vorziehen werde. «Wo in aller Welt ist der Fahrgast, der sich in den Einspänner setzt, wenn ihm ums gleiche Geld ein flotter Zweispän- ner angeboten
wird.»35 Eisenbahnpolitik oder «Stimmungsmache»? Die «NZZ» präsentierte und kommentierte das Bahn- Projekt als einziges Presseorgan aussergewöhnlich um- fassend. Bereits am 1. Dezember 1905 wies die «NZZ» auf die stets guten Beziehungen der Schweiz mit Liech- tenstein
hin: «Mit dem kleinen, seit alten Zeiten mit der Schweiz befreun- deten Fürstentum Liechtenstein hat man immer freundnach- barschaftlich verkehrt; die gegenseitigen Beziehungen war stets 27 BA, E 53, Bd. 615 / 7832, Vernehmlassungsantwort der SBB, 17. September 1907. 28 Ebenda. 29 Ebenda. 30 Ebenda. 31 BA, E 53, Bd. 615 / 7832, Vernehmlassungsantwort der SBB, 17. September 1907. 32 BA, Botschaft des Bundesrats vom 19. November 1907. 33 Urs Altermatt: Die Schweizer Bundesräte. Zürich, 1991, 1992, S. 255 und 258. 34 «NZZ», 7. Dezember 1907, Nr. 339, Drittes Morgenblatt. 35 «NZZ», 17 Dezember 1907, Nr. 349, Drittes
Abendblatt.
Länge km/h Steigung Fahrzeit SBB-Linie Schaan- 46 km 75 8 ‰ 37 Min. Sargans-Chur Schmalspurlinie 42 km 45 12 ‰ 57 Min. Schaan-Vaduz-Chur