Volltext: Jahrbuch (2014) (113)

99 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 113, 
2014 
Kehrtwende in St. Gallen Zwei Monate vor dieser Erklärung der liechtensteini- schen Regierung hatte der Wind in St. Gallen allerdings bereits gedreht. Anfänglich beanstandete der Regie- rungsrat auch die Linienführung der Bahn von Land- quart über den Rhein nach Ragaz. Die Zusatzschlaufe auf das linke Rheinufer sei kompliziert und deshalb unnötig. Um das Projekt nicht zu gefährden, änderten in der Folge die Initianten ihre Pläne und streckten die Linie mit dem Verzicht auf den Einbezug des auf St. Gal- ler Kantonsgebiet liegenden Kur- und Badeorts Ragaz. Diese höchst unerwartete Entwicklung schreckte St. Gal- len plötzlich auf. Prompt stimmte nun der Regierungsrat dem Bauvorhaben hastig zu und knüpfte die Konzes- sion zugleich an die Bedingung, «dass alle Züge, ohne Ausnahme, welche Personen befördern, nach Ragaz ge- führt werden müssen . . . 
».21 Monopolistische Haltung in Bern Nach wie vor hielt das Eisenbahndepartement in Bern aber an seiner SBB-konformen Haltung fest: «Der Zweck der Linie ist weniger dem Lokalverkehr zu dienen, als der Rhätischen Bahn einen direkten Anschlusspunkt an ausländische Linien zu verschaffen.»22 
Auch an der Einigungskonferenz in Bern gab sich das Departement kompromisslos, es handle sich um eine «Hauptbahn». Umgekehrt hielten die Konzessionsbewerber und der Bündner Regierungsrat an der Klassifizierung «Neben- bahn» fest. Man einigte sich schliesslich darauf, diesen Streitpunkt «dem Entscheide des Herrn Departementvorstehers vor- zulegen».23 Interessanterweise entschied Bundesrat Josef Zemp auf «Nebenbahn», «da diese vorwiegend lokalen Bedürfnissen zu dienen bestimmt sei.»  Zemp überging damit die zuständigen Chefbeamten im Eisenbahnde- partement und liess sich auch vom SBB-Verwaltungsrat nicht 
einbinden.24 Freude herrscht in Liechtenstein Mit der Botschaft an das Parlament vom 16. April 1907 empfahl der Bundesrat die Erteilung der Konzession. 
Das «Liechtensteiner Volksblatt» kommentierte deshalb am 31. Mai 1907 hoffnungsvoll: «Wir Liechtensteiner begrüssen es, dass der Bundesrat und die beiden Kantonsregierungen (SG und GR) nicht den geschäft- lichen Standpunkt der Bundesbahnen einnahmen, sondern im Sinne einer richtigen Verkehrsraison und Staatsraison ihre dem Projekte zustimmenden Beschlüsse fassten . . . Die Zustimmung der Bundesversammlung wird in der Hauptsache schweizeri- schen Interessen – der Kanton Graubünden, die rhätischen Bah- nen und der Kurort Ragaz gehören in diese Interessen-Sphäre – nützen, daneben aber in freundnachbarlicher Weise dem kleinen Nachbarland Liechtenstein ermöglichen, aus seiner Isolierung etwas herauszutreten und seinen Verkehr zu verbessern.»25 Liechtenstein kämpfte zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit ökonomischen Problemen. Politisch seit 1806 ein souverä- ner Staat, wirtschaftlich – wie bereits erwähnt – seit 1852 durch eine Zollunion mit der österreichischen Donaumo- narchie verbunden, suchte es als kleines Agrar- und Tex- tilindustrieland die Infrastruktur zu entwickeln. Eine das ganze Fürstentum durchziehende Schmalspurlinie hätte dem Land damals bedeutende Verbesserungen und eine direkte Anbindung Richtung Ragaz und Graubünden ge- bracht.26 Begehung der geplanten Strecke Den bundesrätlichen Entscheid in Sachen «Nebenbahn» wollte die SBB-Generaldirektion partout nicht akzep- tieren. Nach dem Lobbying der Bundesbahn-Vertreter wurde die Vorlage «Schmalspurbahn Landquart-Schaan» 1907, noch während der laufenden Sommer-Session, 16  BA, E 53, Bd. 615 / 7829, «Promemoria» vom 16. Januar 1906. 17  Ebenda. 18  Ebenda. 19  Ebenda. 20  Ebenda. 21  BA, E 53, Bd. 615 / 7829, Brief vom 23. Oktober 1906. 22  BA, E 53, Bd. 615 / 7830, Brief vom 18. März 1907. 23  BA, E 53, Bd. 615 / 7830, Protokoll vom 27. März 1907. 24  Ebenda. 25  Liechtensteiner Volksblatt, 31. Mai 1907. 26  Siehe dazu Paul Vogt: Brücken zur Vergangenheit. Ein Text- und Arbeitsbuch zur liechtensteinischen Geschichte. 17. bis 19. Jahr- hundert. Vaduz, 1990.
	        

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