90Korody István P.: Josef Gabriel Rheinberger und
Ungarn
Robert Volkmann, der 1883 – zu Beginn des Schuljahrs – starb. Koessler, der schon 1882 als Orgelprofessor an- gestellt war, übernahm die Kompositionsklasse. Damals war er dreissig Jahre alt. Er leitete diese Klasse bis 1908, dann ging er in Pension. Später liess er sich überreden und kam noch einmal nach Budapest zurück und führte weiter eine Kompositionsklasse von 1920 bis 1925. Für Kodály war Koessler als Komponist ein Brahms-Epigone. Koesslers Freund – und später sogar sein Schüler – war der Rheinberger-Schüler Ernö Lányi. Im Schuljahr 1876/77 waren sie Schulkollegen in Rheinbergers Orgel- klasse am Münchner Konservatorium. Damals hiess Lá- nyi mit Nachnamen noch Langsfeld. Er blieb nur ein Jahr lang in München und zog dann weiter nach Paris, wo er mit dem Hornstudium anfing. Später besuchte er die Budapester Musikakademie. Sein Kompositionslehrer dort war sein Freund und Mentor Hans Koessler. 1885 diplomierte er in den Fächern Klavier und Komposition. Als Musikschuldirektor wirkte er zwölf Jahre lang in Ma- ria Theresienstadt (Subotica) in der Vojvodina, damals in Österreich-Ungarn, heute in Serbien gelegen. Koesslers Lieblingsschüler an der Budapester Musik- akademie war Ernö Dohnányi. Sein Name wurde als Ernst von Dohnányi in der westlichen Welt eingebür- gert. Er kam aus Pressburg (Bratislava) nach Budapest, um mit Koessler Komposition und mit dem Liszt-Schüler István Thomán Klavier zu studieren. Er absolvierte seine Studien in nur drei Jahren, von 1894 bis 1897. Nachher machte er eine Weltkarriere als Pianist und Kompo- nist. Noch während seines Studiums, als Achtzehnjäh- riger, ging er nach Wien, um Brahms vorzuspielen. Er wählte sein «Klavierquintett», opus 1. Die Sommerfe- rien verbrachte Ernst von Dohnányi 1895, wie in den Jahren zuvor, mit seiner Familie in Breznóbánya. Dort erreichte ihn ein dringender Brief, dieses Mal von Pro- fessor Hans Koessler, seinem Kompositionslehrer und väterlichen Freund. Koessler schrieb, Johannes Brahms sei an Dohnányis Klavierquintett interessiert und bitte ihn darum, mit seinem neuen Werk ins österreichische Salzkammergut, nach Bad Ischl, zu kommen. Ernst hatte jedoch nicht das Geld für die Fahrt und sein Vater auch nicht. Das Notenmanuskript wurde daher per Post in die Sommerfrische der Wiener Künstlerszene gesandt. Zufäl- lig hielt sich das international bekannte Kneisel-Quartett aus Boston in Bad Ischl auf. . . . Sie spielten die Streicher- parts in Dohnányis Quintett. Arthur Nikisch, noch Leiter
der Budapester Oper, mit Beginn der neuen Saison Chef der Berliner Philharmoniker und des Leipziger Gewand- hausorchesters, übernahm den Klavierpart. «Ich hätte das Stück nicht besser schreiben können», kommentierte Brahms . . . Brahms veranlasste eine weitere Aufführung des Stücks im Wiener Tonkünstlerverein, dessen Präsident er war. Dieses Mal konnte der junge Komponist selber kommen. Das Klavierquintett wurde (mit Dohnányi am Klavier) in Wien im November 1895 insgesamt dreimal gespielt.12 Dohnányi benützte selten ungarische Motive, doch sein Klavierzyklus «Ruralia Hungarica» tut gerade dies. Seine Musik ist moderner als die seines Lehrers, sie zeigt in Richtung Richard Strauss. Der junge Leó Weiner trat 1901 als Sechzehnjähri- ger in die Klasse Koesslers an der Musikakademie ein und blieb fünf Jahre lang unter den Fittichen des Meis- ter-Lehrers. Er war der jüngste der heranwachsenden Generation. Bartók war vier, Kodály drei Jahre älter als er. Trotzdem hatte er den besten Start im Kompositions- leben. Es blieb aber nicht so: Bartók und Kodály entwi- ckelten sich tiefgründiger. Doch, wie Bartók 1907, Ko- dály 1908, wurde Weiner auch 1908 als Professor an der «Alma Mater» angestellt. Er zeichnete sich besonders als Kammermusiklehrer aus. Viele weltberühmte Musiker studierten bei ihm. Hier folgt die entsprechende impo- sante Liste; Dirigenten waren: Antal Doráti und Sir Ge- org Solti; als Instrumentalisten wirkten mit: Andor Föl- des, Péter Frankl, Louis Kentner, György Pauk, György Sebök, János Starker, Tibor Varga und Tamás Vásáry. Weiners Musik ist leicht zu verstehen. Er benützt fast immer ungarische Elemente mit eleganter Begleitung und sehr angenehmer Akkordfolge. Der schon mehrmals erwähnte berühmte ungarische Komponist Zoltán Kodály kam 1900 nach Budapest. Er schrieb sich gleichzeitig in der Musikakademie und an der Pázmány Universität ein. Komposition studierte er fünf Jahre lang mit Hans Koessler. Er schloss sein Stu- dium mit der Diplomabeit – «Sommerabend» – einem sinfonischen Werk, ab. Diese Komposition wurde spä- ter, in bearbeiteter Form, unter dem Dirigat Toscaninis aufgeführt. Das Studium an der Pázmány Universität be- endete er mit seiner Dissertation: «Die Strophenstruktur des ungarischen Volksliedes». In seinem Selbstportrait äusserte er sich in folgender Weise über Koessler: «Zur