87 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 113,
2014
«Die im Sommer 1880 komponierte Legende ‹Christo- phorus›, op. 120 setzt die Reihe seiner Legenden-Orato- rien fort, ist aber in der Form durchaus selbständig, der Chorballade angenähert. Kretschmar bezeichnet es als ersten bedeutenden Versuch nach Liszts ‹Legende von der heiligen Elisabeth›, diese Gattung in Deutschland wiederzubeleben. Jedenfalls hat es vor Liszts Oratorium den Vorzug der inneren Geschlossenheit und Klarheit.»4 In der westlichen Instrumental- und Klaviermusik fin- det man zahlreiche Beispiele für ungarische musikalische Elemente. In den Werken der nicht «ungarischen» Kom- ponisten stehen die von Brams komponierten «Ungari- sche Tänze» als Evergreen des Orchesterrepertoires an. Auch sein berühmtes «Klavierquartett», opus 25, g-Moll, von 1861 beginnt im vierten Satz – «Rondo alla Zinga- rese» – mit einer schnellen ungarischen Melodie. Arnold Schönberg fand Brahms «Klavierquartett» so wichtig, dass er das Werk orchestrierte, wodurch es noch be- kannter wurde. Über Rheinbergers Kammermusik schrieb Kro- yer: «Besonders auffallend sind die magyarisierenden Anklänge in seinen besten Kammermusiken, in dem «Streichquartett», opus 89 und in dem «Streichquintett» zum letzten Satz, eine ungarische «Rhapsodie».5 Es gibt einen «Finale all’ ongarese» benannten Satz, den vierten Satz des «Klaviertrios», opus 34, d-Moll, von 1862, in dem der Komponist am Anfang des Satzes in der Klavierstimme zwanzig solistische Takte bringt. Horst Göbels macht dazu folgende Anmerkungen: «Das ‹Finale all’ ongarese› scheint in seinen eröffnenden Takten dem ‹Dies irae› aus Verdis Requiem entnommen (das dieser aber erst 10 Jahre später schrieb). Von Kammermusik kann hier – wie schon in weiten Bereichen des ganzen Trios – nicht die Rede sein. Nach dieser höchst unge- wöhnlichen Ouvertüre gelangen wir unversehens zu ei- nem ‹capriccioso›, das im Zigeunerkeller zuhause ist und vor Übermut schier birst. Nach 20 solistischen Takten im Klavier gesellen sich Geige und Cello gleichgelaunt hinzu. . . . ».6 Die «Cello-Klavier-Sonate», opus 92, ist David Pop- per, Cello-Professor der Listz’schen Musikakademie und dessen Ehefrau Sophie Menter, vielleicht Liszts allerbes- ten Klavierschülerin,
gewidmet.Rheinbergers
Einfluss auf die ungarische Musikpädagogik, vermittelt durch seinen Schüler Hans Koessler Der am 1. Januar 1853 im Fichtelgebirge geborene Rhein- berger-Schüler Hans Koessler beeinflusste dreissig Jahre lang das ungarische Musikleben. Sein Vater war Dorf- schullehrer in Waldeck. Der zwölfjährige Hans verliess das Elternhaus, um in Weiden und Eichstätt weiter stu- dieren zu können. Er spielte Orgel bei den Gottesdiens- ten in der Seminarkirche in Eichstätt. Nach Absolvierung seiner Studien nahm er als Achtzehnjähriger im Novem- ber 1871 die Stelle als Pfarrorganist in Neumarkt (Ober- pfalz) an. Seine ersten kompositorischen Versuche wa- ren kirchliche Männergesänge. «Mehrere solcher Kom- positionen schickte ich zur Beurteilung dem damaligen Präsidenten des Cäcilienvereins, Dr. Franz Witt. Zurück erhielt ich dieselben zwar nicht, aber in der Briefkasten- ecke seiner Zeitschrift war zu lesen: ‹Ihre Kompositionen zeigen viel Talent, aber wenig Schule›. . . . ».7 Mit einundzwanzig Jahren ging Koessler nach Mün- chen, wo er erstmals in seinem Leben eine Oper hörte. 1874 meldete er sich am Münchner Konservatorium an. Er beschrieb die Aufnahmeprüfung wie folgt: «Ich musste vor Josef Rheinberger und Franz Wüllner erscheinen und auf die Frage, was ich lerne wolle, antwortete ich naiv und musikhungrig: ‹Alles›. Die beiden Examinatoren konnten das Lachen nicht verbergen und mochten wohl erken- nen, welch ein unbelehrter Autodidakt vor ihnen stand. Mein freies Phantasieren über ein gegebenes Thema liess sie aber alle Mängel meiner Vorbildung übersehen und 1 Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf einem Vortrag des Autors, gehalten am 11. Juni 2014 im Liechtensteinischen Landes- museum in Vaduz. Das Jahr 2014 ist ein Jubiläumsjahr. Der liech- tensteinische Komponist Josef Gabriel Rheinberger (1839–1901) wurde vor genau 175 Jahren in Vaduz geboren. 2 Wanger, Harald und Irmen, Hans-Josef: Josef Gabriel Rheinber- ger – Briefe und Dokumente seines Lebens, Bände I–IX. Vaduz, 1982–1986. Band III, S. 100. 3 Ebenda. Band VIII, S. 165. 4 Kroyer, Theodor: Joseph Rheinberger. Regensburg, Rom, 1916, S. 195. 5 Ebenda, S 146. 6 Josef Rheinberger: Die Kammermusik, CD Gesamtausgabe, Be- gleitheft, S. 16. 7 Hans Koessler: Lebenslauf. Handschrift im Besitz von István P. Korody.