Volltext: Jahrbuch (2014) (113)

57 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 113, 
2014 
Verfolgten beziehungsweise deren Nachkommen mit den Familien und Kindeskindern der einstigen Kläger und Denunzianten eine neue Art von «Hexen», die für alles mögliche Ungemach verantwortlich gemacht wer- den konnte. Wenn man den Tobelhockern fortan auch keine ma- gischen Schädigungen mehr unterstellte, wurden sie doch an einen klassischen Aufenthaltsort von Hexen, eben in das Lawenatobel, verbannt, wo sie wie diese die Walpurgisnacht feiern sollten. Gleich den früheren Hexenverfolgern vertraten nun auch die Nachkommen ihrer Opfer die allgemein verbreitete Vorstellung einer biologischen Vererbbarkeit entsprechender Laster.30 Nach demselben Prinzip, wie man im 17. Jahrhundert Personen rein nach ihrer Abstammung dem so genann- ten «Hexenvolk» zuordnete, selbst wenn keine entspre- chenden äusseren Anzeichen feststellbar waren, zählte man fortan die Nachkommen der Hexenverfolger, der so genannten «Brenner», ebenso unerbittlich und ohne Rücksicht auf persönliche Schuld zu den Tobelhockern. Das führte bezeichnenderweise dazu, dass der Aus- druck «Fasi» heute als gleichbedeutend mit «Tobelho- cker» verstanden wird. Dabei hiess es früher allgemein, die Nachkommen bestimmter Leute 
seyen nicht von einem gueten fassel.31 Unter «Fasel» verstand man die «Art» in einem biologischen Sinn, eine «Rasse» oder die «Nach- zucht (von Tieren)».32 Nach dem erzwungenen Ende der Hexenprozesse hatten sich also im Wesentlichen nur die Machtverhält- nisse, nicht aber die Denkmuster geändert. Die Sünden- bockfunktion war von einer Bevölkerungsgruppe auf die andere übertragen worden, wodurch grundlegende Vor- stellungen der Hexenverfolgungen in modifizierter Form bis in unsere Gegenwart praktiziert werden konnten. Probleme der Wiedergutmachung Bezeichnenderweise bildete diese Umkehrung der Ver- hältnisse durch die Tobelhocker-Vorstellung die einzige langfristig wirksame Form der «Rehabilitation», welche die Nachkommen der Verfolgungsopfer zu erlangen ver- mochten. Ursprünglich hatten sie auch in strafrechtlicher und finanzieller Hinsicht wesentlich drastischere Mass- nahmen gegen ihre Gegner verlangt, was sich jedoch nicht durchsetzen liess.33Ein 
Beispiel dafür, welche grossen Probleme sich bei den eingeleiteten materiellen Wiedergutmachungen einstellten, bildet die Klage der Erben des 1683 verstor- benen Vaduzer Landammanns Georg Wolf vor dem Reichshofrat. Sie hatten im März 1685 mit der kaiser- lichen Subdelegationskommission einen «Vergleichsre- zess» geschlossen, der sie zu einer einmaligen Zahlung von 2000 Gulden anstellte einer Rückerstattung von Wolfs Einnahmen aus den Hexenprozessen sowie zu ei- ner «Satisfaktion» – das bildete einen anderen Ausdruck für Strafe – verpflichtete.34 Drei Jahre später reichten ein Bruder und ein Vetter Wolfs dagegen beim erwähn- ten Höchstgericht in Wien Nichtigkeitsklage ein, nach- 24  Vgl. Manfred Tschaikner: Uli Mariss – «Verräter und Wetterdä- mon». In: JBL Bd. 98 (1999), S. 41–48; derselbe: Kreuz (wie Anm. 6), S. 276; derselbe: Schreckensherrschaft (wie Anm. 22), S. 96. 25  Zu seiner Person vgl. Ursula Neumayr, Kriss von, Valentin. In: HLFL. Bd. 1. Vaduz, Zürich, 2013, S. 459. 26  Vgl. zum Beispiel den Artikel von P. B. in den Volkskundlichen Notizen – Petites Notes. In: Schweizerische Zeitschrift für Volks- kunde – Archives suisses des traditions populaires 12 (1908/09), S. 290: «Da hatte der Pfarrer Valentin von Kriss den Mut, in überzeugender Rede den Verblendeten die Augen zu öffnen, und nun richtete sich plötzlich der Hass des Volkes gegen seine Angeber und ächtete sie und ihre Familien. Ihre Seelen wurden in die wilde Lavenaschlucht gebannt, wo sie nun als ‹Tobelhocker› alle Qualen ihrer Opfer erdulden mussten. Und den Angehörigen dieser Familien blieb der Makel, und die Jahrhunderte vermoch- ten nicht, ihn zu tilgen.» 27  Vgl. Tschaikner, Teufel (wie Anm. 21), S. 28–30. 28  Vgl. Liechtensteinisches Landesarchiv (fortan: LI LA), AS 1/5, fol. 151a (alte Paginierung). 29  Vgl. LI LA, AS 1/5, fol. 148b–150a (alte Paginierung); Büchel, Ge- schichte (wie Anm. 17), S. 233–235 und 237. Die Vereinbarungen des Jahres 1681 fehlen in Büchels Ausführungen. Sie bestätigen die Aussagen der Zeitgenossen, was die Durchsetzungskraft be- trifft, ebenda, S. 73: «In der Reihe der Pfarrer von Triesen nimmt er unbedingt die erste Stelle ein; denn keiner war so selbstlos auf das dauernde Wohl seiner Pfarrei und seines engeren Vaterlands bedacht wie er.» 30  Vgl. Tschaikner, Teufel (wie Anm. 21), S. 130; derselbe: Hexenver- folgungen in Hohenems einschliesslich des Reichshofs Lustenau sowie der österreichischen Herrschaften Feldkirch und Neuburg unter hohenemsischen Pfandherren und Vögten. Konstanz, 2004 (Forschungen zur Geschichte Vorarlbergs 5), S. 21. 31  Tschaikner, Hexenverfolgungen (wie Anm. 30), S. 251. 32  Vorarlbergisches Wörterbuch mit Einschluss des Fürstentums Liechtenstein. Bearbeitet von Leo Jutz. Bd. 1. Wien, 1960, Sp. 773; Schwäbisches Wörterbuch. Bearbeitet von Hermann Fischer. Bd. 2. Tübingen, 1908, Sp. 961. 33  Vgl. Tschaikner, Schreckensherrschaft (wie Anm. 22), S. 95 (Punk- te 1 und 2). 34  Österreichisches Staatsarchiv (fortan: ÖStA), Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Reichshofrat, Judicialia Antiqua 1054/Nr. 19.
	        

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