Volltext: Jahrbuch (2014) (113)

53 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 113, 
2014 
man ihre Existenz zumindest als Belastung empfand, bil- det die Sage von ihrer Verbannung aus dem angeblich früheren Aufenthaltsort im Badtobel ins weiter entfernte Lawenatobel.13 Die Sage von der Entstehung der Tobelhocker Die Entstehung der Tobelhocker-Vorstellung überlieferte die mündliche Tradition, die im 19. Jahrhundert aufge- zeichnet wurde. So heisst es in der «Geschichte des Fürs- tenthums Liechtenstein», die der Historiker Peter Kai- ser14 1847 
veröffentlichte: «Ueber das Aufhören der Hexenprozesse hat sich eine Volks- sage erhalten, sie lautet, wie folgt: . . . die Brenner, welche so viele Menschen dem Scheiterhaufen zugeführt, hatten den Pfarrer von Triesen zu ihrem Opfer auserkoren. Sie traten in sein Zimmer und er[,] die Absicht ihrer Ankunft errathend, faßte sich schnell, holte Wein aus dem Keller und forderte sie zum Trinken auf. In den Wein aber hatte er schnell betäubendes und schlaferre- gendes Gewürz gemischt. Die Brenner wurden von dem Genuß des Weines bald trunken und sanken in tiefen Schlaf. Der Geist- liche, diesen Umstand benutzend, entriß ihnen das Verzeichniß der Opfer, das sie bei sich führten. Er war der erste auf der Liste. Alsbald ließ er die Männer kommen, die mit ihm auf dem Ver- zeichniß standen und zum Feuertod bestimmt waren, machte sie mit der Gefahr bekannt und forderte sie auf, alles an Ehre und Leben zu wagen. Sie nahmen die Brenner fest, überlieferten sie der Obrigkeit und ihre Unthaten kamen zu Tage. Sie erlitten die gerechte Strafe und viele Familien, die um Ehre und Eigenthum gebracht worden, erhielten beides wieder.»15 Die Sage ging also davon aus, dass die regionalen He- xenverbrennungen nur von einer bestimmten Perso- nengruppe widerrechtlich betrieben worden waren. Sie verhehlte darüber hinaus nicht, wie die «gerechte Strafe» dafür ausgesehen habe: «Die Volkssage übte auch eine eigene Justiz gegen die Bren- ner, welche nicht gut genug zur Hölle, in ein finsteres Tobel, da, wo man zur Alp Lawena geht, gebannt sind[,] und dort sitzen sie an steinernen Tischen stumm und starr; denn ihr Herz war auch hart, wie Stein und unerbittlich, und ihr Lügenmund ist geschlos- sen immerdar. Das Volk nennt sie ‹Tobelhocker›.»16 Im Gegensatz zur mündlichen Überlieferung handelte es sich bei den bestraften «Brennern» aber keineswegs nur 
1  Der vorliegende Artikel bildet die überarbeitete Fassung eines Vortrags, der am 3. November 2013 im Rahmen der Tagung «‹Sei wie du willt namenloses Jenseits› Neue interdisziplinäre Ansätze zur Analyse des Unerklärlichen», veranstaltet von der Universität Wien, der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft und dem Verein Neugermanistik Wien, im Filmarchiv Austria und am 22. April 2014 im Begleitprogramm der Ausstellung «Im Zeitfens- ter. Eine szenografische Rauminstallation mit Fotografien von Anton Frommelt (1895–1975)» im Kunstraum Engländerbau in Vaduz gehalten wurde. 2  Marianne Maidorf: Die Hexe vom Triesnerberg. Eine Erzählung aus Liechtensteins dunklen Tagen. Zürich, 1908 (Nachdruck: Va- duz, 1980). 3  Josef Hürlimann: Maidorf Marianne. In: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein (fortan: HLFL). Bd. 2. Vaduz, Zürich, 2013, S. 575. 4  Alexander Lernet-Holenia: Die Hexen. Roman. Wien, Hamburg, 1969. 5  Michaela Wanger: Die Tobelhocker – ein gesellschaftliches Pro- blem? Prüfungsarbeit in Landekunde gemäss LGBl. 1983, Nr. 21. Typoskript. Triesen, o. J. [1995] 6  Manfred Tschaikner: Von den Tobelhockern. Ein Vortrag auf Tuass. In: Terra plana. Zeitschrift für Kultur, Geschichte, Touris- mus und Wirtschaft. Verbreitungsgebiet: Bezirke Sargans, Wer- denberg, Obertoggenburg, Fürstentum Liechtenstein, Bündner Herrschaft und Gaster 1 (2005), S. 13–18. Ebenfalls URL: http:// www.historicum.net/themen/hexenforschung/thementexte/spe- zialthemen/tschaikner/ (15. November 2013). Wo im Folgenden keine Belege angeführt sind, beziehe ich mich auf diesen Artikel. Vgl. auch derselbe: Das Kreuz mit dem Zauber – Religion und «Aberglaube» in Liechtenstein um 1700. In: 1712. Das Werden eines Landes. Hrsg. von Rainer Vollkommer und Donat Büchel. Vaduz, 2012, S. 271–277, hier S. 275–277. 7  Manfred Tschaikner: Der spätmittelalterliche «Unholdenberg» bei Götzis im Vorarlberger Rheintal. In: Montfort (2008), S. 177–181, hier S. 177. 8  Wolfgang Schild: Holda zwischen und jenseits von Göttin und Hexengestalt. In: Zur Geschichte des Rechts. Festschrift für Ger- not Kocher zum 65. Geburtstag. Graz, 2006, S. 393–406; Christa Tuczay, Holda. In: Encyclopedia of Witchcraft: The Western Tra- dition. Bd. 2. Santa Barbara/California, 2006, S. 501–502. 9  Schild, Holda (wie Anm. 8), S. 401–403; Manfred Tschaikner: Ma- gie und Hexerei im südlichen Vorarlberg zu Beginn der Neuzeit. Konstanz, 1997, S. 145. 10 Tschaikner, Magie (wie Anm. 9), S. 139–142. 11  Vgl. Cornelia Herrmann: Die Kunstdenkmäler des Fürstentums Liechtenstein. Neue Ausgabe Bd. 2. Das Oberland. Bern, 2007, S. 143. 12  Otto Seger: Sagen aus Liechtenstein. Nendeln, 1980 (Nachdruck von 1966), Nr. 58, S. 43. 13 Ebenda. 14  Vgl. zu seiner Person siehe Arthur Brunhart: Peter Kaiser 1793– 1864. Erzieher, Staatsbürger, Geschichtsschreiber. Facetten einer Persönlichkeit. Vaduz, 1993 (Zweite Auflage: Vaduz, Zürich, 1998). 15  Peter Kaiser: Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein. Nebst Schilderung aus Chur-Rätien´s Vorzeit. 1847. Neu hrsg. von Arthur Brunhart. Bd. 1. Vaduz, 1989, S. 437–438; auch bei Seger, Sagen (wie Anm. 12), Nr. 55, S. 42. 16  Kaiser, Geschichte (wie Anm. 15), S. 438; auch bei Seger, Sagen (wie Anm. 12), Nr. 56, S. 42–43.
	        

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