Volltext: Jahrbuch (2014) (113)

141 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 113, 
2014 
Mit der Neuaufnahme von Verhandlungen standen sich zwei entgegengesetzte Haltungen zur Vorgehensweise bei der Lösung der offenen Fragen zwischen Liechtenstein und der Tschechoslowakei gegenüber: Die Regierung in Vaduz verfolgte in ihren Verhandlungen die Strategie ei- ner Paketlösung. Sie machte gegenseitige diplomatische Beziehungen von der Lösung der offenen Besitzfragen zwischen Liechtenstein und der Tschechoslowakei ab- hängig. Die Prager Regierung hingegen wünschte zuerst die gegenseitige Anerkennung und wollte sich anschlies- send den Konfliktpunkten zuwenden. Ab 1993 standen dem Fürstentum zwei Verhandlungspartner gegenüber. Aus der ehemaligen Tschechoslowakei waren die beiden neuen Staaten Tschechien und die Slowakei hervorge- gangen. Die Verhandlungen gestalteten sich schwierig, wenn auch die Beziehungen zur Slowakei im Vergleich zu Tschechien weniger konfliktbeladen waren. Doch auch hier stockten die Verhandlungen, sobald es bei Fra- gen der gegenseitigen Anerkennung zu einer Koppelung mit Besitzfragen kam. Erst die Beitrittsverhandlungen Tschechiens und der Slowakei zu verschiedenen internationalen Organisatio- nen (KSZE, Europarat, EWR, EFTA, UNO) und die Not- wendigkeit für die beiden jungen Staaten, verschiedene multilaterale Abkommen abzuschliessen, boten Liech- tenstein Gelegenheit, international auf seine Anliegen aufmerksam zu machen. Die Regierung in Vaduz ver- suchte, die Aufnahme der beiden Länder von der Lö- sung der Besitzfragen abhängig zu machen. Sie äusserte ihre Vorbehalte gegenüber den künftigen Neumitglie- dern und schmiedete wo immer möglich Allianzen mit anderen europäischen Staaten, um Druck auf Tschechien und die Slowakei auszuüben. Marxer beschreibt die Ver- handlungen detailliert und aus nächster Nähe. In der Studie wird auch der Rechtsstreit um das so- genannte «Kalkofen-Bild» nochmals aufgerollt. Das Ge- mälde aus der fürstlichen Sammlung war im Zuge der Konfiskationen 1945 dem Fürstenhaus enteignet wor- den. Anlässlich einer Ausstellung in Deutschland im Jahr 1991 verlangte der Fürst von Liechtenstein vergeblich die Herausgabe des Werks. Trotz zahlreicher Verhandlungen auf diplomatischem und juristischem Weg konnten bis 2009 keine konkre- ten Ergebnisse erzielt werden. Eine Annäherung in den strittigen Punkten blieb aus. Es habe einen «politischen Reifungsprozess» auf beiden Seiten gebraucht, bevor 
konkrete Resultate zu erwarten waren. Liechtenstein sei schliesslich zu einer «pragmatischeren Haltung» um- geschwenkt. Marxer beschreibt anschaulich die schritt- weise Annäherung zwischen Prag und Vaduz bis zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen im Herbst 2009. Die vorliegende Studie stellt primär die Perspektive Liechtensteins dar. Dank seiner beruflichen Tätigkeit verfügt Roland Marxer über sehr gute Kenntnisse und Hintergrundwissen zu den diplomatischen Abläufen, Verhandlungen und Vereinbarungen. Er stützt sich vor allem auf Quellen der Regierung in Vaduz und Akten des Liechtensteinischen Landesarchivs und des Amts für Auswärtige Angelegenheiten in Liechtenstein. Der Autor war bei den diplomatischen Verhandlungen immer auch Beteiligter, was beim Lesen der Studie mit in Betracht ge- zogen werden muss. Für künftige historische Arbeiten wäre zusätzlich die Aufarbeitung von Akten aus den Archiven der tschechi- schen Ministerien, vor allem des Aussenministeriums, wünschenswert, um sich ein ausgewogenes Bild zu Hal- tungen und internen Diskussionen der Konfliktparteien zu machen. Hier stellt sich allerdings aufgrund der zeit- nahen Ereignisse die Frage nach der Verfügbarkeit rele- vanter Dokumente für die Forschung. Anschrift der Autorin lic. phil. Susanne Keller-Giger, Technikumstrasse 15,   CH-9470 Buchs
	        

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