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den Überblick über die Entwicklung des liechtensteini- schen Güterbesitzes in den böhmischen Ländern (also im Gebiet der heutigen Republik Tschechien) gibt. Zu er- wähnen ist auch, dass der lange Untersuchungszeitraum von 700 Jahren eine Herausforderung war. Seine Forschungsmethode umschreibt er mit «fächer- übergreifend», «holistisch» und «ganzheitlich» – genauer will er sich nicht festlegen. Betrachtet man das Ergebnis, kommt man zur Feststellung, dass sein Beitrag (abgese- hen von den drei Exkursen) chronologisch aufgebaut ist. Die Fürsten und ihr Handeln stehen im Fokus: Das Thema wird aus dem Blickwinkel der Dynastie abgehan- delt, es ist «Geschichte von oben». Der Anspruch, das Thema «ganzheitlich» zu betrachten, kann nicht wirk- lich eingelöst werden. Soziale Fragen haben wenig Platz, auch auf die Bewirtschaftung der Güter geht er kaum ein. Symptomatisch ist die Bemerkung, dass die sozial- und nationalpolitischen Motive, die nach dem Ersten Welt- krieg zur Bodenenteignung führten, «nur am Rande» (S. 133) interessierten. In die chronologisch gegliederte Arbeit sind drei Ex- kurse eingebaut: Der erste Exkurs steht unter dem Titel «Die Liechtenstein und die Religion» (inhaltlich richtiger wäre wohl die Formulierung «und die Reformation» ge- wesen), der zweite gilt dem Thema «Die Liechtenstein und die Sprache(n)», wobei sich Merki vor allem dafür interessiert, ob die Fürsten Tschechisch konnten, und im dritten Exkurs wendet er sich dem Thema «Die Liechten- stein und die Frauen» zu. Mit dem letzten Exkurs wollte er wohl dem Vorwurf vorbeugen, die Frauen übergan- gen zu haben. Vor allem in diesen Exkursen bricht der Journalist gelegentlich mit ihm durch: Manches von dem, was er hier schreibt, mag zwar unterhaltend sein, ist aber für das eigentliche Thema nicht relevant (zum Beispiel die Ausführungen über das «Damenkränzchen» der beiden Fürstinnen auf S. 131 f. oder die Erwähnung des illegitimen Kinds von Fürst Franz I. S. 130). Um den Leserinnen und Lesern die Orientierung zu erleichtern, streut er insgesamt acht Stammtafeln mit der Genealogie der Fürsten ein. Diese Stammtafeln sind bei der gewählten Darstellungsweise zweifellos nützlich, sie verdeutlichen auch die Verwandtschaftsbeziehungen bei den im 17. und frühen 18. Jahrhundert relativ häufigen innerfamiliären Heiraten. Ansonsten ist der Beitrag eher knapp illustriert: drei Karten zur Besitzentwicklung und vier aktuelle Fotos von Schlössern. Tabellen sind ledig-
Merki beschreibt, wie Besitz erworben werden konnte (nämlich durch Kauf, Heirat, Belehnung oder Verpfän- dung) und wie der Gefahr eines Verlustes (z. B. bei Erb- teilungen oder durch Mitgift von heiratenden Töchtern) vorgebeugt wurde (v. a. durch rechtliche Regelungen wie Fideikommiss, Erbverträge, Testamente). Im 19. Jahrhun- dert waren die Liechtenstein die grössten Grundbesitzer in Mähren und die drittgrössten in Böhmen. Die Anlage von Familienvermögen in Form von Grundeigentum, der durch ein Fideikommiss langfristig für die Familien gebunden wurde, schien während Jahrhunderten die sicherste Möglichkeit, die ökonomische Position und damit den Status der Familie (oder wie Merki vorzugs- weise schreibt: der «Dynastie») zu sichern. Noch immer definierte der Hochadel seine herausragende Stellung über Grossgrundbesitz. Dies änderte sich schlagartig mit dem Zerfall der Habsburgermonarchie und dem Entste- hen der Tschechoslowakischen Republik. Der neue Staat anerkannte keine Fideikommisse und war bestrebt, die adeligen Latifundien, die grösstenteils Nicht-Tschechen gehörten, in einer Bodenreform zugunsten der Klein- und Mittelbauern umzuverteilen. Das Fürstenhaus verlor durch diese Bodenreform zwischen 1918 und 1938 in der Tschechoslowakei 915 km² Boden oder 57 Prozent des gesamten Besitzes in der Tschechischen Republik (ge- gen eine geringe Entschädigung). 1945 bis 1948 folgte die entschädigungslose Konfiskation der restlichen 690 km² auf einer völkerrechtswidrigen Rechtsgrundlage. Für das fürstliche Familienvermögen war dies eine Katastrophe. Merki hat sich in seinen bisherigen Arbeiten vor al- lem mit wirtschafts- und verkehrsgeschichtlichen The- men des 19. und 20. Jahrhunderts befasst, geografisch konzentrierte er sich auf die Schweiz und Liechtenstein. Er kann nicht ganz verheimlichen, dass er kein Spezialist für das hier bearbeitete Thema ist, in manchen Formu- lierungen wirkt er unsicher oder unpräzis (zum Beispiel wenn der von der «Beschneidung der liechtensteinischen Herrschaftsrechte im 19. Jahrhundert» spricht, die ein «Vorspiel» zu den Enteignungen im 20. Jahrhundert ge- wesen seien, S. 133). Ein umfangreiches Quellenstudium war ihm angesichts der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Er musste sich deshalb weitgehend auf die vorhandene Literatur stützen, nur vereinzelt griff er auf die Quellen selber zurück. Viel Neues und Überraschen- des enthält seine Untersuchung daher nicht. Wertvoll ist seine Arbeit dennoch, weil sie einen zusammenhängen-