Volltext: Jahrbuch (2014) (113)

129 Historischer Verein für das Fürstentum Liechtenstein, Jahrbuch Band 113, 
2014 
zwischen 1938 und 1945. Die Anerkennung der liechten- steinischen Souveränität durch die Regierung in Prag im Juli 1938 weckte beim Haus Liechtenstein die Hoffnung, zumindest einen Teil des verlorenen Besitzes zurück zu erhalten. Eine völlig neue Situation entstand, als infolge des Münchner Diktats vom 30. September 1938 Prag die deutsch besiedelten Gebiete von Böhmen und Mähren – das sogenannte Sudetenland – an das Deutsche Reich abtreten musste. Damit kam der grösste Teil der enteig- neten fürstlich-liechtensteinischen Güter in den Macht- bereich des Deutschen Reichs. Begleitet vom Hamburger Rechtsanwalt Albrecht Dieckhoff, führte der liechtensteinische Regierungschef Josef Hoop im Oktober 1938 Gespräche in Berlin. Die Bemühungen um Rückerstattungen von enteignetem Besitz blieben letztlich erfolglos. Die politische Gross- wetterlage änderte sich noch zweimal: zuerst mit der deutschen Besetzung des gesamten Gebiets von Böhmen und Mähren durch das Deutsche Reich im März 1939, später mit dem Zweiten Weltkrieg und der 1945 erfolg- ten Wiederherstellung der Tschechoslowakei. Als sich ab 1943 die deutsche Niederlage im Krieg abzuzeichnen begann, setzte Fürst Franz Josef II. – wiederum ohne Er- folg – seine Hoffnungen auf alliierte und schweizerische Unterstützung für sein Anliegen, das noch im Besitz des Fürstenhauses stehende Eigentum in Böhmen und Mäh- ren vor der Konfiskation zu 
retten. Weitere Enteignungen nach dem Ende   des Zweiten Weltkriegs 1945 kam es indes noch schlimmer für das Haus Liech- tenstein. Darüber berichtet Václav Horčička in seinem Beitrag. Der tschechoslowakische Präsident im Exil, Ed- vard Beneš, verkündete im April 1944 von London aus, dass nach dem Krieg die Deutschen in der Tschechoslo- wakei enteignet werden sollten. Dieser Gefahr versuchte Franz Josef II. durch diplomatische Initiativen zu begeg- nen. Gegen den Widerstand von Regierung und Landtag setzte der Fürst im Herbst 1944 die Wiedereröffnung der liechtensteinischen Gesandtschaft in Bern durch. In der Frage der Enteignung seines Besitzes in der Tschecho- slowakei setzte Liechtenstein (auch) auf Unterstützung durch die Schweiz, die jedoch nicht in erhofftem Aus- mass eintrat. 
In einer Denkschrift an die Regierung der wieder her- gestellten Tschechoslowakei wehrte sich Liechtenstein im Juni 1945 gegen weitere Enteignungen. Diese seien «ein Angriff auf einen anderen souveränen Staat» (S. 86). Zudem habe sich der Fürst von Liechtenstein nie zur deutschen Nationalität bekannt. In einer zweiten Denk- schrift hob Liechtenstein zudem hervor, es habe auf sei- nen Besitzungen grossmehrheitlich Tschechen beschäf- tigt, folglich Angehörige der deutschen Minderheit nicht bevorzugt behandelt. Alle Ermahnungen und Proteste nützten nichts. Nach der Enteignung des gesamten land- und forstwirtschaftlichen Bodens folgte im Herbst 1945 die Beschlagnahmung der Industriegüter und anderer Vermögenswerte, die bislang dem Haus Liechtenstein gehört 
hatten. Die Enteignungen und Vertreibungen   aus rechtlicher Sicht Ondřej Horák geht in seinem Beitrag auf rechtliche As- pekte der Konfiskationen des Jahres 1945 ein. Er ver- weist darauf, dass mit der Übernahme des Landwirt- schaftsministeriums durch ein Mitglied der Kommunisti- schen Partei eine revolutionäre Situation entstanden sei. Dementsprechend sei geltendes Recht durch die Praxis ausgehebelt worden. Die Realität siege über das Norma- tive, «wenn die Praxis den rechtlichen Vorschriften vor- greift und häufig gegen letztere agiert» (S. 94). Die von tschechischen Nationalisten geäusserte Sichtweise, das Haus Liechtenstein habe sich im Dreissigjährigen Krieg (1618–1648) zahlreiche Güter in Böhmen und Mähren widerrechtlich angeeignet, bezeichnet Ondřej Horák als «Stigma der Zeit nach der Schlacht am Weissen Berg» (S. 96). Der Autor dieses Beitrags nimmt im Besonderen auch Bezug auf die Beneš-Dekrete von 1945, welche die ju- ristische Grundlage für die Enteignung und Vertreibung der deutschen Minderheit in Böhmen und Mähren bilde- ten. Diese Dekrete seien «Ausdruck der Kontinuität der tschechoslowakischen Rechtsordnung», wie sie bereits in der Zwischenkriegszeit bestanden hätte. Zudem seien die Beneš-Dekrete «kein Echo individueller Schuld, son- dern kollektiver Verantwortung» (S. 103). Aus heutiger Sicht ist es jedoch sehr fragwürdig – so die Meinung des Rezensenten –, dass eine gesamte Volksgruppe, also
	        

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